Ganz gut geschlafen mit erträglichen Temperaturen im Schlafzimmer, zum ersten Weckerlicht um zehn nach sechs wachte (und stand) ich auf. Der Liebste war schon aufgestanden, hatte die Fenster im Erdgeschoss aufgemacht, den Kater gefüttert und mir einen Tee gemacht. So ein halber Arbeitstag und dann ein Neffenbesuch, ich war gespannt, was der Tag bringen würde.
Erst einmal brachte er eine ausführliche Dusche, weil wir um acht fertig angezogen sein wollten – „zwischen acht und vierzehn Uhr“ hatte sich nämlich ein Techniker wegen unseres Internet-Anschlusses angekündigt (Hausarrest für Erwachsene). Nach der Dusche setzten wir uns erst einmal zu Müsli und Zeitung ins Wohnzimmer, dann verschwand der Liebste gegen halb neun ins Arbeitszimmer und ich überlegte mir, was ich mit dem Tag anfangen sollte.
Als erstes machte ich unten Bad, Toilette und Gästezimmer sauber und lüftete ein bisschen, dann ein paar Takte Internet (das ja – morgens – wieder einigermaßen lief). Außerdem versuchte ich es eher halbherzig noch einmal bei meinem Hausarzt, wegen Arm und so, und siehe da: Beim zweiten Versuch kam ich plötzlich durch.
Ich erklärte mein Anliegen: Schmerzen im linken Arm seit Monaten, so langsam müsste man mal schauen, außerdem im Herbst Blutwerte, die man jetzt (eigentlich im Frühjahr, öchöm) überprüfen lassen müsste. Deshalb gern ein Termin übernächste Woche, wenn möglich. Oh, sie haben Schmerzen im linken Arm, ich kann sie heute noch reinnehmen, sagte die MFA. Äh – was? Neinnein, die Schmerzen habe ich seit Monaten. Da kommt es auf eine Woche nicht an. – Aber ich möchte Sie ungern mit Schmerzen über das Wochenende lassen, und Schmerzen im Arm, das kann ja nun alles Mögliche sein, deshalb lieber sofort heute.
Ich erkannte die Stimme der jungen Azubi im ersten Lehrjahr und verkniff mir einen Kommentar, dass es sich wohl kaum um das galoppierende Armkrebsvirus handeln würde. Versuchte stattdessen noch einmal in Richtung „also sooooo schlimm ist es auch nicht“ zu argumentieren, da sah ich aus dem Augenwinkel den Liebsten aus dem Arbeitszimmer kommen und mir nonverbal signalisieren „jetzt nimm endlich den Termin an, wenn man schon mal einen kriegt“, also bog ich ab in Richtung okay, gleich später am Vormittag noch, ja das geht, wunderbar, vielen Dank.
Leicht euphorisiert von diesem überraschenden Telefonerfolg versuchte ich es zunächst bei der Augenärztin (war ich schon ewig nicht mehr), dort erreichte ich allerdings nur den pfingstferienbedingten Anrufbeantworter. Als nächstes dachte ich über einen Frauenarzttermin nach, würde da nicht einmal eine Vorsorge anstehen? Ich beschloss erst einmal auf der Webseite der Krankenkasse nachzusehen.
Haha, Krankenkassen-Webseite. Früher war es so, dass ich mich über den Kundenzugang einloggen konnte und dann dort einen Überblick hatte, welche Impfungen mir empfohlen werden und welche Vorsorgeuntersuchungen wieder anstehen. Jetzt war es allerdings so, dass ich nach dem Einloggen auf eine Seite geleitet wurde, die mich fragte. Sie brauchen einen Identifizierungscode. Wollen Sie den Code mit der Post zugesandt bekommen? Alternative: Identifizierung über die kasseneigene App. – Und wenn man auf „App“ klickte, wurde man auf den Google Play Store weitergeleitet, und korrigiert mich, wenn ich falsch liege, aber mein Laptop hat meines Wissens kein Android. Etwas verwirrt von der leicht irritierenden Auswahl klickte ich auf „Code per Post“ und bekam als Antwort „Sie erhalten Ihren Code in den nächsten Tagen“, und beim nächsten Login wurde dann sofort der Code abgefragt, ich kam also nicht weiter. Wollte aber auch nicht „ein paar Tage“ warten, also lud ich mir halt die Krankenkassen-App auf mein Handy.
Meine Güte, was für ein schwerfälliger Prozess. Kurz gefasst: App herunterladen, einloggen mit Benutzername und Passwort meines Kundenkontos, Identifizierungsprozess starten, eine zweite App zur Identitätskontrolle herunterladen, Ausweis vorn und hinten fotografieren lassen, sich selbst filmen und zwei angezeigte Wörter in die Kamera sprechen, Gesundheitskarte vorn und hinten fotografieren lassen, und dann war die Identitätsprüfung abgeschlossen, wie mir die App stolz verkündete, also wechselte ich wieder zur App der Krankenkasse. Die mir einen fröhlichen „Herzlich Willkommen“-Bildschirm anbot und dort dann einfror.
Also App schließen und neu starten, ich wurde wieder aufgefordert, zur anderen App zu gehen, dieses Mal für eine „Lebendigkeitsprüfung „(WTF), wurde wieder gefilmt und musste zwei willkürliche Wörter in die Kamera sprechen, und ENDLICH kam ich auf mein Kundenkonto. Um dort dann festzustellen, dass die letzten eingespeisten Daten die Vorsorgeuntersuchungen von 2019 enthielten, der Datensatz also nicht aktuell war. Hurra.
Zu diesem Zeitpunkt war ich ausgesprochen müde von all diesem. Ich verstehe schon, dass die Identifizierung für die zukünftige Ausstellung von eRezept und eAU notwendig ist, aber das MUSS einfacher gehen (immerhin konnte ich irgendwo im Lauf des Prozesses meinen Daumenabdruck scannen lassen, vielleicht reicht das ja zukünftig aus, lol). Der Liebste, der sich beruflich genau mit diesem Themenfeld befasst, schüttelte nur milde den Kopf. Als aus der Wirtschaft kommender Informatiker, der an ein Klinikum gewechselt ist, muss er eine erstaunliche Leidensfähigkeit an den Tag legen.
Nachdem ich also eine halbe Stunde mit Krankenkassen-Gedöns verbraten hatte, war es schon zu spät (und ich hatte keinen Nerv mehr) für weitere Arzt-Anrufe, ich zog mich um und ging zum Hausarzt. Dort wartete ich ungefähr eine halbe Stunde und kam dann ins Sprechzimmer. Während ich noch wartete, hörte ich, wie draußen erst die MFA (nicht die Azubi) und dann der Arzt selbst mit einem Patienten herumstritt (also eigentlich stritt nur der Patient, „psychisch auffällig“ nennt man das wohl), und entweder ein Arztgespräch oder die Psychiatrie oder die Polizei vorschlug (in der Reihenfolge). Kurz darauf kam der Arzt zu mir, ausgesprochen gut gelaunt (es braucht offensichtlich deutlich mehr, um ihn zu erschüttern) und berichtete mir fröhlich von seinem klassischen Freitag und der Mischung aus Arztpraxis und Kasperletheater, die er so führen würde.
Bei der Untersuchung ließ er sich einmal vorführen, bei welchen Bewegungen der Schmerz auftrat, tastete ein bisschen ab und schloss erst einmal irgendetwas in Richtung Bandscheibenvorfall oder sonst Wirbelsäulen-Bezogenes aus (auch schön). Stattdessen stellte er eine ordentliche Skoliose der Wirbelsäule fest, von der ich schon wusste: Vermutlich ist der Schmerz eine muskuläre Verspannung, die aus der Schiefstellung beruht. Mit einem Rezept über Physiotherapie ging ich wieder (außerdem die Aussicht auf evtl. einen Neurologen und einem Termin für den Bluttest, für Entzündungswerte und ähnliches). Einerseits fand ich alles sehr schlüssig, andererseits habe ich jetzt wieder ein Gedöns mit Terminen, die ich ausmachen muss, es ist ein Elend. Ich bräuchte einen Sekretär, der meine Terminplanung übernimmt.
Um zwölf war ich wieder daheim und traf auf einen schlecht gelaunten Mann: Das Internet stürzte wieder ab und der Techniker hatte sich noch nicht blicken lassen. Ich las eine kleine Runde (im Krimi mittlerweile zwei Drittel durch) und ging dann zum afrikanischen Imbiss, Essen holen.
Während wir noch beim Essen waren, meldete sich der Neffe übers Handy: Er würde deutlich später kommen als geplant, weil Deutsche Bahn. Das hieß, ich hatte tatsächlich ein paar Stunden komplett Zeit und nichts zu tun – also legte ich mich mit Buch in den Liegestuhl. Der Liebste arbeitete weiter, die 14-Uhr-Frist verstrich ohne Techniker, ich kam in meinem Buch in Richtung Ende, und um zehn vor vier ging ich los, den Neffen am Bahnhof abholen.
Dort angekommen setzte ich mich erst einmal in den Park neben den Busbahnhof in den Schatten: Draußen hatte es über 30 Grad und es war nicht klar, wann der Bus kommen würde. Um halb fünf und damit zweieinhalb Stunden später als geplant war S, der kleine Neffe (mit ungefähr eins neunzig schon ausgewachsen und auch kein Teenager mehr, aber halt trotzdem der Kleine) endlich da. Schienenersatzverkehr, ausgefallener Zug, auf der Ausweichstrecke dann wieder Schienenersatzverkehr: Reife Leistung. Immerhin waren die Busse klimatisiert und nicht so voll und damit angenehmer als die Züge, aber trotzdem.
Wir gingen erst einmal heim, holten den Liebsten aus dem Arbeitszimmer, setzten uns zusammen und quatschten ein bisschen. Dann schauten wir im Garten nach dem Kater (nicht da) und gingen gemeinsam schnell zum Supermarkt nebenan. Wieder daheim, starteten S und der Liebste mit Kochen (ich hielt mich zurück, unsere Küche ist für drei Leute zu klein), bis der Kater schließlich von selbst auftauchte und gefüttert werden wollte. Nach ein paar Haps verschwand er wieder im Garten und ich ging mit S runter, damit er den Kater begrüßen konnte (große Katzenliebe auf Neffenseite). Der Kater zeigte sich auch von seiner besten Seite, nach nur ein paar Mal scheuem Schnüffeln ließ er sich ausführlich knuddeln und kraulen.
Das Abendessen waren Spaghetti Bolognese mit einer Mischung aus Tofu und etwas Rügenwalder veganem Hack, sehr gelungene Soße. Nur dass S Spaghetti gar nicht so toll fand, das anstrengende Aufwickeln und Gedöns nervten ihn eher, wofür ich ja vollstes Verständnis habe. Ich holte also eine Runde Messer für alle, damit war es dann prima. Zum Essen gingen wir auf die Dachterrasse, wo es ziemlich heiß war, weil der Schirm die tiefer stehende Sonne nicht mehr ganz abfing, aber trotzdem gemütlicher als drinnen. Trotzdem wechselten wir nach dem Essen in den Garten aufs Schattendeck (das geht mit drei Stühlen gerade so), dort Espresso, etwas Unterhaltung, und der Kater schaute auch wieder vorbei.
S hatte sich gewünscht, dass wir ihm etwas „die Stadt“ zeigen, was man in der Mittagshitze ja nicht so gern macht. Deshalb gingen wir nach dem Essen am Abend los. (Vorher zog er sich zwanzig Minuten zurück, um sich unten etwas auszuruhen und umzuziehen, und ich nutzte die Zeit, um das Buch ZU ENDE ZU LESEN. Hihihihihi.)
Da er gern etwas modernere Architektur sehen wollte, gingen wir erst eine Runde durchs neue Güterbahnhofsviertel und dann am Neckar entlang die Runde Richtung Innenstadt. Dort noch die obligatorische Touristenrunde durch die Altstadt und hoch zum Schloss, im Schlosscafé setzten wir uns raus in den Biergarten und tranken etwas (dringend nötig). S erzählte etwas von seinem momentanen Job in einem Hotelrestaurant (macht ihm Spaß, hat aber eher keine Perspektive für länger), von seinen Zukunftsplänen (eher unbestimmt) und sonst so ein bisschen, was ihm in den Sinn kam. Dann Heimweg, etwas durch die Unterstadt und die Gässchen vorbei mäandernd. Es waren viele, viele Leute unterwegs, alle Tische der Außengastro waren besetzt, eine total schöne Sommeratmosphäre.
Schon in der Südstadt dachten wir über einen Absacker in unserer Stammkneipe nach, entschieden uns dann aber dagegen. Stattdessen gingen wir für ein Glas Rosé auf die Dachterrasse, wo es jetzt am Abend mit ein paar Kerzen genau richtig gemütlich war. So gemütlich, dass ich um elf tatsächlich im Sitzen einschlief und mich todmüde ins Bett zurückzog. Ich ging davon aus, dass ich nicht wirklich schlafen würde, schließlich saßen S und der Liebste noch auf der Dachterrasse, aber tatsächlich war ich nach wenigen Minuten komplett eingeschlafen.