Um halb sieben aufgewacht, das erste Mal nach durchgeschlafener Nacht, möchte ich ergänzen. Ganz zufriedenstellender Wachheitszustand, so generell. Wir standen also auf und starteten den Sonntag mit Kater und Tee, etwas Schreiben und viel Lesen. Dann ein ausführliches englisches Frühstück mit gebratenen Pilzen und Tofuwurst, und weil ich beim Einkaufen am Vortag plötzlich Lust auf Avocado gehabt hatte (und es reife Avocado aus Europa gab), hatte ich dazu keinen Toast, sondern Avocado auf Brot wie so eine Klischee-Veganerin. Ich erinnere mich nicht, wann ich das letzte Mal eine Avocado gegessen, geschweige denn gekauft habe, das muss Jahre her sein. Ich mache mir nicht so viel aus Avocado, finde sie aber so auf Brot mal ganz ok (mit ein bisschen Kala Namak…). Der Liebste mag sie aber nicht, und eine für mich allein finde ich meistens etwas viel. Nun ja, auf jeden Fall kam die zweite Hälfte in den Kühlschrank.
Nach dem Frühstück und ein bisschen Lesen gingen wir unter die Dusche und – so diszipliniert! – dann putzten wir einmal direkt das Haus. Wir wollten mittags aus dem Haus und abends noch putzen müssen fand ich doof und die kommende Woche wartet wieder viel Arbeit und… Nö. Also putzen, was den restlichen Vormittag ausfüllte, um Viertel nach zwölf war ich fertig und machte das Mittagessen warm (restliches Thai Curry mit Reis). Dann Essen, anschließend einen Espresso und etwas Schokolade und um eins aus dem Haus: Wir wollten erstens zum Friedhof, und zweitens hatten sich in der Nachbarstadt leider Nazis angekündigt (die AfD mit einer Anti-Coronamaßnahmen-Kundgebung), und da hatte die SPD neben anderen zur Gegendemo aufgerufen.
Premiere: Das erste Mal hatten wir ein Elektroauto gebucht, einen Renault Zoe. Ich hätte die Chance ergreifen können, mich einzufahren, aber ich hatte auf Automatik keine Lust und wir hatten es eilig… Also fuhr der Liebste und ich schaute ihm dabei zu. Es scheint ein normales Automatik-Fahrgefühl zu sein, außer dass man fast keinen Motor hört (nur ein Surren), stattdessen das Reifenabrollgeräusch. Die Reichweite war mit 100km bei kaltem Wetter nicht so groß, langte uns aber locker.
Um kurz vor zwei waren wir in der Nachbarstadt angekommen und fuhren erst einmal auf den Friedhof, die Weihnachtsdeko dort abnehmen und mal nachschauen. Es war alles ok, alles ziemlich gefroren (leider kein Schnee). In den nächsten Wochen werden wir auf jeden Fall nicht hinfahren müssen.
Anschließend fuhren wir in die Stadt. Eigentlich hatte ich zwei Parkhäuser im Kopf, die beide sehr nah am Demo-Ort waren, aber dafür hätten wir vermutlich Stunden früher dran sein müssen: So war alles schon abgesperrt. Wir parkten am sonntags offenen Parkplatz der lokalen Volksbank und gingen dann zehn Minuten einmal quer durch die Altstadt. Das war eine gute Idee, so war unser Auto ein bisschen von den Hauptverkehrsströmen weg.
Die AfD-Versammlung sollte vor der Stadthalle stattfinden, als Gegendemo war zu einer Menschenkette aufgerufen. Wir sahen gleich Massen an Leuten mit Regenbogenschals und diversen Plakaten oder einfach nur mit FFP2-Masken in einer Reihe stehen und stellten uns dazu. (Im Demo-Aufruf war explizit darum gebeten worden, „als Zeichen gegen die Verantwortungslosigkeit der AfD“ mit FFP2-Maske zu kommen, daran hatten sich alle gehalten – absurde Zeiten, wenn schon die Maske als Demosymbol gilt). Bei einer Menschenkette hätte natürlich ein Tuch oder etwas in der Art Sinn gemacht zum Abstandhalten, das hatten wir leider vergessen, wir Anfänger, aber ich nahm meinen Schal. Auch wenn es ganz schön kalt war, viel kälter als gedacht, und der Schal eigentlich um den Hals gehört hätte. Handschuhe hatten wir auch nicht dabei, clever.
Auf jeden Fall standen wir so ungefähr eine Dreiviertelstunde in einer Menschenkette die Hauptstraße entlang, und das Spannendste, was passierte, war, dass irgendwann irgendwelche AfD-Prominenz mit Polizeimotorrad-Eskorte in dunklen Limousinen mit Berliner Kennzeichen an uns vorbei Richtung Stadthalle fuhr. Irgendwann wurde das deshalb ein bisschen langweilig (und KALT) und die Menschenkette löste sich so allmählich auf. Wir gingen mit einigen anderen zum Stadthallenvorplatz und sahen uns den eigentlichen Ort des Geschehens an.
Vor Ort gab es einen Rednerpult vor der Stadthalle, davor so ca. 300 Leute, dazwischen massenhaft Polizei in voller Montur, und dann eine lautstarke Gruppe von ebenfalls ca. 300 Leuten, die man so dem Spektrum Antifa – Schwarzer Block – superlinks (und jung) zuordnen konnte. Diese Gruppe war ziemlich laut mit Trillerpfeifen, Megafonen und einer Lautsprecheranlage, sodass man den AfD-Sprecher (als wir dazukamen, war Alice Weidel schon fertig und es sprach gerade der MdB Martin Hess) kaum hören konnte. Um diese laute Gruppe herum dann noch einmal eine noch größere Gruppe an sehr bunten Demonstrierenden mit lustigen Schildern, Fahnen und so weiter, zu denen wir uns dazustellten. Es waren Vertreter von quasi allen demokratischen Parteien vertreten, dazu jede Menge anderer Organisationen. Insgesamt waren es geschätzt 1000 Gegendemonstranten, ca. dreimal so viele wie Kundgebungsteilnehmer.
Gegen kurz nach vier wurde es uns so richtig kalt und wir hatten genug gestanden, ein bisschen mitgepfiffen und „demonstriert“. Keine Ahnung, ob das irgendeinen positiven Effekt hatte. (Daheim bleiben allerdings hat auch keinen.) Wir machten uns auf jeden Fall auf den Rückweg zum Auto. Der Liebste klebte noch einen Sticker, der bei ihm auf der Jacke klebte und sich langsam ablöste, an einen Ampelpfosten in Augenhöhe und wurde dafür prompt von einem wütenden Mann mit rotem Kopf angebrüllt, er „beschädige hier das Eigentum von Steuerzahlern“, was ein bisschen witzig ist, denn wir zahlen beide ziemlich viel Steuern. Der Liebste rief denn auch zurück „der Pfosten ist meiner“, aber so richtig verstehen wollte der andere das nicht. Außerdem wurde dann seine Ampel grün und er musste mit lautem Motor weiterfahren. (Hier könnte ich einen pimmelbezogenen Kommentar einfügen, aber die Realität war selbst schon so stereotyp.)
Um fünf waren wir wieder daheim und komplett durchgefroren. Wir packten uns erst einmal in warme Kuschelklamotten, dann machte der Liebste uns ein Heißgetränk mit ordentlich Alkohol (für sich eine Art Grog, nur dass er Amaretto statt Rum nahm, für mich einen Schwarztee mit Rum, in den er dann auch noch ein bisschen Amaretto kippte, nachdem mir der Rum allein zu herb war). Dazu ein Brot mit Exquisa und Johannisbeergelee (wie ich gedacht hatte: Die Kombination funktioniert super) und ein bisschen Aufwärmen mit nordischen Tierärzten.
Um halb sieben dann gemeinsames Kochen, ein Shepherd’s Pie mit Tofu. Irgendwann überließ ich dem Liebsten das Feld in der Küche, hängte eine durchgelaufene Maschine Wäsche auf und kümmerte mich ums Bügeln (das würde mir eigentlich im Traum nicht einfallen, aber es gibt ein paar Putz- und Taschentücher, die wir sozusagen aus Desinfektionsgründen auf heißer Stufe durchbügeln).
Während der Auflauf im Ofen war, machte ich noch den Wochenplan und freute mich dann darüber, wie viel wir an dem Tag gemacht hatten, neben dem üblichen Sonntagsgedöns aus Putzen, Wäsche und Wochenplan waren wir auf dem Friedhof gewesen und sogar bei einer Demo! (Meine letzte Demo war btw ein Fridays-For-Future-Klimastreik im Herbst 2019. Da davor? Keine Ahnung.) Ich war auf jeden Fall sehr zufrieden.
Zum Tagesabschluss sahen wir beim Essen das Damengambit zu Ende (ganz guter Schluss, aber ich habe das definitive Gefühl, dass mir das Buch besser gefallen hätte), dann ein Glas Rosé zum Wochenabschluss und eine ganze Reihe nordischer Tierärzte. Die nächste Woche müssen wir irgendeine neue Serie starten. Für den Abend auf jeden Fall Tierdoku-Reality und ein wenig heile Welt.