Die Nacht war eher durchwachsen: Die Betten waren zwar einigermaßen okay, die Matratzen aber ein bisschen dünn (ich merkte meinen Rücken am nächsten Morgen). Wirklich blöd allerdings: Es war in der Nacht recht warm, und da der Raum ja kein Fenster hat (nur die Tür nach außen), konnten wir keinen Durchzug machen. So stand bei uns im Raum die Hitze (und stand und stand). Und ich schlief dementsprechend sehr unruhig, wachte immer wieder auf. Wenigstens stellte ich in der Nacht fest, dass das Klo kein Problem sein würde: Es ist im Erdgeschoss des Haupthauses, man muss vom oberen Schlafzimmer so eine steinerne Außentreppe heruntergehen, und das natürlich mit schiefen Treppen und komplett ohne Beleuchtung. Aber das stellte sich als weniger schwierig raus als gedacht, denn Mond und Sterne gaben tatsächlich eine erste Lichthilfe, und dann hatten wir zwar unsere Taschenlampen vergessen (…standen halt nicht auf der Packliste), aber an der Powerbank ist ein Aufsatz, den man als Taschenlampe benutzen kann. Und unheimlich war es wider Erwarten auch nicht, denn wie sich herausstellte, bin ich ziemlich single-minded, wenn ich aufs Klo muss, und habe keine Zeit für Gedanken an Axtmörder oder ähnliches.
Überraschung am Morgen: Wir wachten um kurz vor acht auf und waren irgendwie die ersten im Haus, die wach waren. Ich dachte eigentlich, Menschen mit kleinen Kindern sind gezwungenermaßen Frühaufsteher? Nun ja. Wir nutzten auf jeden Fall die Chance und machten uns gleich ein Frühstück (Schwarztee – einen Jasmintee hatte ich leider nicht gefunden – und Brot mit Erdnussbutter). Essen draußen an einem der vielen Tische, unter freiem Himmel, das war schon sehr idyllisch (wenn die Fliegen einen in Ruhe ließen und die Ameisen einen nicht fanden).
Dann abspülen und duschen, und nun ja: Ich behalte mal die Details für mich, aber vier Familien mit Kindern in einem alten Bauernhaus, die sich alle die Küche, dazu zwei Klos und zwei Toiletten teilen, das ist eher nicht mehr so mein Fall. (War es nie, um ehrlich zu sein.) Zwar gaben sich alle sichtlich Mühe, die Sachen in Ordnung zu halten (ehrlich großes Lob, auf jedem Campingplatz würde das anders aussehen), aber es ist halt trotzdem nicht so toll. Der nächste Urlaub wird auf jeden Fall wieder eine Ferienwohnung oder zumindest eine Pension mit Zimmer En Suite. Und um dem Ganzen die Krone aufzusetzen, kam uns, als wir gerade bei der zweiten Tasse Tee saßen, eine Frau entgegen, und begrüßte uns mit „ah, hier sind zwei neue Gesichter“ (Bettenwechsel ist eigentlich samstags, wir hatten das Zimmer auch ab Samstag gemietet, das heißt die anderen Gäste waren alle mindestens einen Tag länger da), „nur damit ihr Bescheid wisst: Zwei von den Kindern haben Magen-Darm. Bei einem hat es gestern angefangen, der zweite hat jetzt gerade gespuckt. Die Erwachsenen haben jetzt noch nichts.“ …haha, das ALLERLETZTE, was ich mir vorstellen konnte, war, in einer Berghütte in den Schweizer Alpen zu sitzen mit Magen-Darm-Virus und Gemeinschaftsklo. Oh well.
Damit war der Plan für den Tag: Irgendwo eine Apotheke finden für ein Desinfektionsspray, außerdem ein paar Lebensmittel einkaufen. Wir packten also unseren Tagesrucksack und stiegen den Berg hinab. Das Dorf am Fuß des Bergs heißt Intragna: Ungefähr 900 Einwohner (die aber so ein bisschen verteilt sind, nicht alle wohnen direkt im Ort), eine Kirche, ein kleines Museum, eine Bäckerei, eine Metzgerei, ein Bioladen, eine Schule. Dazu ungefähr zwei Hotels, ein Restaurant, eine Bar. Vielleicht auch noch mehr Sachen, wir liefen nicht den ganzen Ort ab (er zieht sich so ein bisschen durchs Tal, auf mehreren Ebenen, ein Teil des Orts ist ganz unten am Fluss, sodass man ziemlich runter- und wieder hochsteigen müsste).
Als erstes in den kleinen Bioladen, der als „24/7“ ausgeschildert war, was ich zuerst gar nicht glauben konnte. Aber tatsächlich: von 8 bis 20 Uhr ist die Tür offen, und von 20:01 bis 7.59 Uhr kann man die Tür über einen Code öffnen, den man aufs Handy bekommt (dazu müsste man den QR-Code an der Tür abscannen und sich registrieren). Innen ist eine Selbstscann-Kasse, und nachmittags ist zwei Stunden lang jemand da und füllt auf und so. Sehr schlaues Konzept, und der klitzekleine Laden war wirklich erstaunlich: Er hatte so mehr oder weniger alles. Zwar recht gesalzene Preise, aber vergleichbar mit einem kleinen Bioladen bei uns (den Vergleich darf man ja nicht mit dem Alnatura oder einem normalen Supermarkt ziehen). Einiges an lokalem Obst und Gemüse, und sonst die üblichen Biomarken, die wir teilweise auch von daheim kannten, dazu ein paar neue Sachen. Wir kauften für die nächsten Tage ein und gingen ziemlich bepackt weiter.
Nächster Stopp war die örtliche Bäckerei für einen Laib Brot und zwei Brötchen. Ein kleiner Schreck auf meiner Seite, als mein „Buongiorno… ist Deutsch okay?“ mit „No, sole italiano“ beantwortet wurde, harhar. Also kauften wir Brot (un pano, dann wild auf den passenden Laib gefuchtelt), Brötchen (due panini) und dann hatte der Liebste natürlich noch die Idee, im angeschlossenen Café einen Kaffee zu trinken, denn ich kriegte das mit dem Bestellen ja so gut hin. Lol. Wir setzten uns also auf die zauberhaft schöne Terrasse mit Blick übers gesamte Flusstal (quasi jedes Haus dort hat mindestens einen Balkon mit zauberhaftem Blick) und ich bestellte zwei Kaffee mit Crushed Ice, oder um es auf Italienisch zu sagen, cafè freda (und nicht „cafè fresca“, wie ich zuerst sagte, denn das heißt wohl „frischer Kaffee“, nicht „kalter Kaffee“ – aber die nette Bedienung half gern mit den richtigen Vokabeln weiter).
Sehr leckerer Kaffee (dabei wird ein Espresso über das Eiswürfel gekippt und das ganze dann im Mixer zerstoßen, bis daraus eine schaumige, helle Masse entstanden ist, sieht aus wie Milchshake, schmeckt aber halt nach Kaffee und Eis und einfach sehr gut). Dazu bekamen wir zwei Kekse, auf die mit weißem und rotem Fondant die Schweizer Flagge nachgebildet war, und wie niedlich kann so eine Bäckerei eigentlich sein. (Wenn ich in einer deutschen Dorfbäckerei einen Keks mit deutscher Flagge bekommen hätte, hätte ich das allerdings befremdlich gefunden.) Bezahlen ging auch okay, mal abgesehen von der Deklination (es heißt „due cafè fredi“, bitte die korrekte Pluralendung beachten) und überhaupt war das sehr nett.
Eine Apotheke gab es in dem Dorf allerdings nicht. Wir stiegen deshalb in den Regionalzug (…man bekommt automatisch mit der Zimmerbuchung ein ÖPNV-Ticket fürs ganze Tessin für den ganzen Aufenthalt, wie TOLL ist das) und fuhren weiter. Ziemlich viel weiter, wie sich herausstellte, denn wir hatten einen Zug erwischt, der nicht überall hielt, und anstatt in Terscio, wo die Apotheke gewesen wäre, konnten wir erst in Pontebrolla aussteigen, drei Dörfer weiter. Nicht so schlimm, wir hatten ja Zeit (und ein unbegrenztes Ticket), außerdem war es mittlerweile Mittagszeit und in Pontebrolla gab es ein paar Hotels mit angeschlossenem Restaurant.
Also erst einmal Essen, in einem relativ poshen Hotel, wo wir einen schönen Tisch auf der (recht leeren, trotz Hauptsaison und so) Außenterrasse bekamen. Tapfer auf Italienisch bestellt (…ich KANN kein Italienisch, btw), bis der zweite Kellner uns auf Deutsch ansprach – scheinbar gibt es in den Tälern dort eine Mischung aus Menschen verschiedener Muttersprachen. War mir natürlich auch sehr recht. (Auch bei den Gästen übrigens viele Deutschschweizer, wie auch bei uns im Ferienhaus, wo alle außer uns Deutschschweizer waren.) Eine Flasche Wasser, zwei gemischte Salat, zwei Portionen Pasta und zwei Espressi später waren wir um 100 Franken ärmer (…günstig ist es nicht) und sehr zufrieden.
Also tapfer weiter, und da wir ja sowieso wandern wollten, gingen wir zu Fuß von Pontebrolla aus ein paar Dörfer weiter bis nach Verscio, wo es theoretisch eine Apotheke gegeben hätte, aber die brauchten wir gar nicht, denn dort gab es auch einen Coop (so mittelgroß), und dort fanden wir auch ein Desinfektionsspray. Neben noch ein paar anderen Kleinigkeiten.
Der weitere Rückweg gestaltete sich dann etwas schwierig: Der Weg war über Google Maps nicht so klar zu erkennen, und wir wollten auf keinen Fall komplett bis zum Fluss hinabsteigen (weil wir sonst alles wieder hätten aufsteigen müssen). Zuerst gingen wir ein paar Meter an der Hauptstraße entlang, fanden das dann doof, drehten also um und gingen links der Bahnlinie, ein bisschen hin und her wegen eines anderen Fußwegs, der mir aber verdächtig nach „abwärts“ aussah, wieder zurück und an der Bahnlinie weiter, bis es an einer Stelle nicht ganz klar war, wo es weiterging. Und da es die ganze Zeit brüllendheiß war (32 Grad) und kein Wölkchen am Himmel und wir trotz Mützen und Wasserflaschen und Sonnenmilch das Wetter herausfordernd fanden, ließen wir die Wanderstrecke zurück schließlich sein und gingen zum Bahnhof in Verscio. Dort setzten wir uns 15 Minuten in den Schatten (und füllten die Wasserflaschen wieder auf, sehr cool: Es gibt überall Trinkwasserbrunnen) und fuhren dann mit der Bahn nach Intragna.
Gegen 17 Uhr wieder zurück (nach 45 Minuten schweißtreibendem Aufstieg, wenn man als Ferienwohnung ein Rustico mitten in den Bergen bucht, dann ist jedes Abendessen wohlverdient). Schnelle kalte Dusche, und den restlichen Abend beschäftigten wir uns mit Abendessen (Brot mit Zitronenhummus, den wir aus Zürich mitgenommen hatten, dazu ein Salat aus Tomaten, Gurke und Mandelfeta aus dem Bioladen), viel lesen und ein bisschen Backgammon spielen. Recht früh in die Betten: Wir waren beide ordentlich müde. Vermutlich die frische Bergluft oder so.