Wieder gut geschlafen und recht früh aufgewacht, sodass wir einen ruhigen Morgen mit viel Tee, Porridge mit Nüssen und Brot mit Philadelphia hatten und trotzdem nach einer schnellen Dusche um 8:30 schon aus dem Haus gingen. Der Wetterbericht hatte für den Nachmittag Regen angesagt, bis jetzt war es aber noch klar und wir wollten die Sonnenstunden gern für einen Stadtspaziergang nutzen – nicht aus dem neuen Reiseführer, sondern die Nr. 16 aus dem Buch „Londons Secret Walks“, das ich mir 2019 gekauft und dann nur wenig genutzt hatte, leider. Der Grund, dass wir die Nr. 16 machen wollten, war, dass er in der zweiten Hälfte durch Camden führte, was ich so gut in Erinnerung hatte, und dann an King’s Cross endete, also quasi vor unserer Haustür. (Unsere Unterkunft war natürlich auch in Camden, aber am südlichen Rand und deshalb deutlich mehr „Innenstadt“ als Nordlondon, so vom Gefühl her.)
Als Premiere nahmen wir nicht die U-Bahn, sondern den Bus bis zur Baker Street, was eine großartige Idee war – die Fahrt dauerte zwar eine knappe halbe Stunde, aber wir hatten es ja nicht eilig und genossen die Fahrt. Und zwar tatsächlich, denn mit dem Bus bekommt man einfach auf sehr bequeme Art etwas von der Stadt zu sehen. Halb leer war er auch (im Gegensatz zur U-Bahn, die irgendwie immer voll ist).
Als Erstes nach dem Ankommen ein Blick auf die Baker Street 221b, die es als Gebäude eigentlich gar nicht gibt, aber man hat halt nachträglich links neben dem Sherlock-Holmes-Museum eine Tür mit Hausnummer eingebaut, damit die japanischen (…nicht nur, aber vor allem) Tourist:innen einen Platz für das Selfie haben. Wir ließen das schnell links liegen (genauso wie Madame Tussaud’s ums Eck, schon wieder mit Schlange davor) und begaben uns auf die Stadtwanderung.
Der Plan war eigentlich, sich jede Menge herrschaftliche, große, protzige Gebäude anzusehen, Palace hier und Manor da und Terrace dort. Das machten wir auch anfangs ganz brav (gleich das erste Gebäude war das Rudolf Steiner House, der Sitz der Englischen Anthroposophischen Gesellschaft, was mich ja nun nicht so interessiert, aber es war immerhin architektonisch recht interessant), aber relativ schnell wurde es ein bisschen nervig. Erstens war der Weg im Buch nicht so ganz detailliert beschrieben, man musste also immer ein bisschen herumsuchen, wo es weiterging, und zweitens hätte die Stadtwanderung den größten Teil am rechten Rand des Regent’s Park entlanggeführt. Warum denn um Himmels Willen nicht durch den Park durch, fragte der Liebste, völlig zurecht, und nach ein bisschen Überlegen ließen wir von der Stadtwanderung ab und mäanderten die nächsten Stunden sehr zufrieden durch den Park.
Der Hyde Park hatte mich 2019 ja nicht so überzeugt (was vor allem an der Jahreszeit gelegen hatte, Anfang Februar), jetzt im Regent’s Park sah die Sache schon anders aus. Nicht nur ist der Park größer als der Hyde Park (wobei das kaum eine Rolle spielt, der eine 166 Hektar, der andere 142 Hektar, also beide sehr groß), wir waren jetzt auch mitten im Frühling und bei schönstem Sonnenschein unterwegs.
Und das genossen wir so richtig, wir wanderten kreuz und quer durch den Park, schauten uns die Seen und die Wasservögel und die (noch eingemotteten) Ruderboote und die kleinen Bachläufe und Wasserfälle an, schauten den (vielen) Hunden beim Spielen zu, den Joggern beim Joggen und den Stadtgärtnern beim Gärtnern, gingen durch den Inner Circle, den Outer Circle, durch den Queen Mary‘s Garden (ein Park im Zentrum des Parks), you name it. Mit einer kleinen Kaffeepause in einem von mehreren Cafés im Park (sehr nett, mit so ein bisschen Studenten-Cafeteria-Feeling) waren wir insgesamt bestimmt anderthalb Stunden dort und fühlten uns danach richtig tiefenentspannt.
Das war auch gut so, denn danach gingen wir ins Zentrum von Camden, und das war dann wieder SEHR voll, sehr laut, sehr touristisch und sehr alles. Zuerst ein kleiner Stopp in einem Café (eigentlich eine Bäckerei, die Sauerteigbrot für 7 Pfund als neuesten Hipster-Scheiß verkaufte), dann durch die High Street von Camden bis zum Regent’s Canal. Ich hatte ja Camden als total nett in Erinnerung, so ein bisschen linksalternativ, mit Reihenhäuschen und vielen netten Läden und so, aber entweder war ich vor fünf Jahren in einem anderen Bereich, oder das hat sich total geändert. In den Seitensträßchen war es immer noch „normal“, wenn auch leicht dodgy, bei allem, was nach High Street und Markt aussah, war es aber komplett touristisch verdorben – sämtliche Marktstände boten ausschließlich billigen Touristenkitsch an. Dazu furchtbar viel Gewusel und unangenehm viel Security und „echte“ Polizei (vermutlich gibt es dort ein Problem mit Taschendieben). Wir schauten uns das alles an, waren aber eher unterwältigt und hatten vor allem keine Lust, an einem der Street Food Stände etwas zum Mittagessen zu kaufen.
War auch nicht nötig, denn wie immer ließ uns die glückliche Kuh nicht im Stich, und so gingen wir ins Vegan Planet, ein veganes chinesisches Restaurant, in dem wir tatsächlich die einzigen Gäste waren (wir kamen auch schon um kurz nach zwölf). Das Essen war relativ stark auf Fleischersatzprodukten aufgebaut, wirkte davon abgesehen aber ausgesprochen „authentisch“ chinesisch. Was sich bewahrheitete, als das Essen kam. Als Vorspeise erst einmal frittierte Wan Tons für den Liebsten und eine sehr gute Wan Ton Suppe für mich, und dann die Hauptgänge – oh dear. Mein „Spicy Chicken with Szechuan Peppercorns and Peanuts“ war als „extra spicy“ markiert, und das war nicht gelogen: In das ganze Essen waren frittierte Chilischoten vermischt, die extra scharfe Sorte. Ich dachte anfangs, ich könnte sie mit ein bisschen Reis und dem Tofu-„Chicken“ zusammen essen, aber keine Chance – nach drei Bissen war mein Mund taub und ich bekam Schluckauf vor Schärfe. Ich sortierte also sämtliche Chilischoten aus, und damit (und viel Reis) war das Essen dann gerade so am Rande des Erträglichen. Das Essen des Liebsten (sliced fish in sizzling chili oil, auch auf Tofubasis) war dagegen fast schon zahm, wenn auch ordentlich scharf.
Gutes Essen, insgesamt, definitiv. Es wäre so cool, wenn es etwas in dieser Art bei uns in der Gegend auch geben würde. Als Nachtisch (zum Löschen) hatte jeder von uns zwei Kugeln veganes Vanilleeis (SO gut), und damit gingen wir sehr zufrieden weiter.
Noch etwas durch Camden, ein bisschen weg von der High Street. Ziemlich überrascht war ich von der Tatsache, dass es in der ganzen Gegend keine Buchhandlung gab (vor fünf Jahren war ich ziemlich sicher direkt gegenüber von der U-Bahn in einer kleinen inhabergeführten Buchhandlung gewesen, von der jetzt nichts (mehr?) zu sehen war). Irgendwie sahen wir, als wir den Tourikram hinter uns gelassen hatten, nur Thrift Stores und Waschsalons und arabische Gemüsestände und so Zeugs.
Auf jeden Fall musste ich aufs Klo und es war zwei Uhr und fing wie pünktlich in der Wetterapp vorhergesagt zu regnen an, deshalb gingen wir in ein Café, wo ich aufs Klo verschwand und der Liebste währenddessen zwei Tassen Flat White zu unserem Tisch balancierte, eine der beiden Tassen fallen ließ und damit seine Schuhe, die Tardis, den Nachbartisch und den ganzen Boden einsaute. Hurra. Die extrem freundliche Kellnerin brachte also Wischmop, feuchten Lappen und putzte die Sauerei weg, während wir bei den Tischen mithalfen und uns tausendmal entschuldigten. Scheinbar waren wir der dritte Kunde, der einen Kaffee auf den Boden warf (das sagte sie vermutlich nur, damit wir uns besser fühlten) und außerdem würde das in ihrem Heimatland sogar Glück bringen (dito). Sogar den heruntergeworfenen Kaffee bekamen wir ersetzt, damit war es dann fast wieder okay. Nur die Schuhe halt fleckig.
Um drei waren wir wieder daheim und verbrachten die nächsten Stunden dort: Der Liebste machte einen langen Mittagsschlaf (das ganze Herumgelaufe macht extrem müde), und ich las mein am Sonntag erst gekauftes Buch zu Ende – Richard Osman, The Bullet That Missed, der dritte Teil der Thursday Murder Club-Reihe. SO ein tolles Buch, das ich in einem Rutsch aufsaugte, und dass es so unfassbar englisch ist, passte natürlich gleich doppelt.
Zum Abendessen hatten wir keine Lust auf Gedöns, zumal es sich seit vierzehn Uhr richtig eingeregnet hatte und wirklich ungemütliches Wetter herrschte. Wir gingen also noch einmal zum Waitrose im benachbarten Einkaufszentrum und holten uns dort nach längerem Suchen ein veganes indisches Ready Meal für die Mikrowelle (drei Arten Curry, gewürzter Reis, Roti). Das war ganz erstaunlich lecker, dafür dass es halt ein Fertiggericht war. Dazu die beiden am Vortag gekauften Brew Dogs, tatsächlich auch nicht schlecht (trinkbares englisches Bier!), und als wir dann noch eine Interior Design Show mit Allan Carr im TV entdeckten, waren wir über den prasselnden Regen gar nicht unglücklich und hatten einen sehr angenehmen Abend.