Nachdem ich furchtbar hinterherhänge mit meiner Chronik, aber auf jeden Fall mein verlängertes Berlin-Wochenende irgendwie erfassen möchte, hier zwei Tage in einem – der erste war sowieso nur Reisetag. Der zweite dafür dann die volle Berlin-Ladung.
Am Samstag vor dem Wecker aufgewacht und aufgestanden, selbigen ausgemacht, Morgenroutine mit Katzen und Zeugs. Alles in leichter Anspannung wegen Reisetätigkeit, man kennt das. Deshalb gingen der Liebste und ich auch recht bald aus dem Haus, mit Zwischenstopp am Bankautomaten und beim Viertel-Lieblingsbäcker, damit ich mich mittags nicht auf das Bordbistro verlassen musste.
Am Bahnhof dann erste kleine Überraschung: Der eigentlich ausgesuchte Zug um 9:00 Uhr stand mit 30 Minuten Verspätung in der Anzeige, „technischer Defekt am Zug“. Egal: Ich stieg in den Bummelzug um 9:05 und kam damit immer noch mit viel Puffer in Stuttgart an. Hatte noch Zeit für einen Kaffee am Gleis.
Hinfahrt mit dem ICE ereignislos, ich hörte zwei Podcasts, las ein bisschen, mittags gekaufte Brötchen mit Rügenwalder Wurst, außerdem eine Cola aus dem Bordbistro und ein mitgebrachtes Wasser. Pünktlich wären wir eigentlich auch gewesen, wenn nicht in Kassel-Wilhelmshöhe die Durchsage gekommen wäre, dass der Zug jetzt leider keinen Lokführer mehr hätte (warum auch immer) und erst ein Ersatz von der Lokführer-Bereitschaft aus Kassel herfahren müsste.
…und dann eine Viertelstunde später die nächste Durchsage, dass der Ersatz jetzt zwar da sei, man aber festgestellt habe, dass er für die ICE-Strecke nach Berlin nicht ausgebildet sei. Man hole jetzt also einen Ersatz-Lokführer „mit Streckenkunde“ aus Frankfurt. Yay. Das Manöver kostete uns am Ende 60 Minuten Verspätung, aber nun ja, mir war es ein bisschen egal, ich hatte ja keinen Anschluss zu verpassen.
In Berlin problemloses Tram- und U-Bahn-Fahren (mehr oder weniger, die Tram blieb nach einer Station einfach stehen, Durchsage „ab jetzt fährt die Bahn außerplanmäßig weiter, bitte alle in die nächste Tram umsteigen“, …warum), und gegen halb sieben war ich schließlich im Wedding angelangt und bei Freund S in der Wohnung.
Dort ausführliche Begrüßung von S und seinem Partner M, dann gemeinsames Abendessen mit einem Glas Sekt und einem Kartoffel-Olivenauflauf, und den restlichen Abend verbrachten wir einfach daheim (draußen sowieso recht ungemütliches Wetter, feuchtneblig und kalt). Quatschen und so weiter, und um zehn dann schon ins Bett, wie so alte Leute (oder halt Leute mit Vollzeitjobs).
Am Sonntag war ich wenig überraschend um halb sieben schon wach und damit die erste in der Wohnung. Ich machte mir leise eine Tasse Tee und setzte mich an den Küchentisch, nur um dort festzustellen, dass ich Vollhonk meine Tastatur fürs Tablet vergessen hatte. Real-Time-Blogeinträge würde es damit also schon mal nicht geben. Nun ja. Leicht geärgert, aber nutzte ja nix. Stattdessen googelte ich mir Informationen und Sachen für den Montag, wo S ja wieder arbeiten musste und ich also einen Tag „frei“ hatte. Etwas blöd, dass Montag der klassische Museums-Schließtag ist, aber ein paar haben dann doch auf. Noch ein bisschen lesen, irgendwann dann duschen, und um halb neun waren S und M dann auch wach.
Ausführliches, gemeinsames Frühstück (Brot, Aufstrich, Erdnussbutter, Seitanwurst), viel Tee, Kaffee, lange Unterhaltung, bis gegen halb elf, wo M sich auf den Weg in seine eigene Wohnung machte (er musste noch ein bisschen arbeiten, typischer Lehrerrhythmus) und S ein paar Sachen an seinem Laptop zu erledigen hatte. Ich nutzte die Zeit und machte einen langen Spaziergang im Wedding: einmal das Gelände des Virchow-Klinikums angeschaut (merkwürdige Mischung aus alt-historisch, halbalt-verfallen, in Renovierung befindlich und sehr neu und modern), dann über den St. Paul-Friedhof und den Goethepark und schließlich das afrikanische Viertel wieder zurück. Sehr froh, dass meine Füße gut mitmachten, und das mit den blauen Trekkingschuhen: Der Fußrücken hielt.
Interessant war der Friedhof. Erstens gab es eine merkwürdige Mischung aus unbelegten Wiesen, höchstens ein paar Gräber random verstreut, und Gräberfeldern, wo man aber auch wenig „normal“ abgezirkelte Grabflächen sah. Sehr häufig einfach ein Grabstein in der Wiese mit vielleicht noch ein paar Blumen davor. Abgeteilte Wege zwischen den Gräbern gab es sowieso nicht, wenn man zu einem wollte, musste man einfach über die Wiese laufen. Und dann jede Menge Urnengräber, auch und gerade bei Familiengräbern. „Ruhestätte“ hieß es dann immer: „Ruhestätte Schneider“ auf dem Grabstein, ein 30×30 Zentimeter-Quadrat, und unten vier oder fünf Metallstecker mit den Namen.
Überhaupt diese Metallstecker: Auf den Grabsteinen teilweise überraschende Emotionalität: „Hier ruht die Mutter“, „Für immer! Unvergessen!“ oder einfach nur „Mein Wählchen“, und unten dann geradezu preußisch die Markierung des Friedhofsamts: „Heribert Wahl, J-2.10-93517f, 12.5.1940 – 28.8.2019 (Urne)“.
Mittags wieder daheim, recht durchgefroren (es war um den Gefrierpunkt, aber der angekündigte Regen hielt sich bis zum Mittag zurück). Noch etwas heißen Tee und eine schnelle Schüssel Müsli als Mittagessen, dann ein paar Takte Tanz-Versuch mit Playlist in S‘ großem Arbeitszimmer. Aus Gründen: Umgezogen (Bluse statt Hoodie) und Tanzschuhe eingepackt, und um halb drei machten S und ich uns auf den Weg, seit vier Jahren das erste Mal wieder zum Tanzen. Freund S ist ja nicht nur ein alter Freund aus Studienzeiten, sondern auch mein langjähriger Tanzpartner, bis er 2021 beschloss, nach Berlin zu ziehen (mäh), wodurch uns beiden die Tanzmöglichkeit mangels Partner:in verloren ging. Jetzt hatte er anlässlich meines Besuchs eine Möglichkeit für offenes Tanzen ausgemacht: Zwar nicht klassisches Standard-Ballroom-Dancing (wir „können“ ja eigentlich nur die Turniertänze, Standard und Latein), sondern „Swing-Sonntag“, aber egal. Im leichten Nieselregen fuhren wir zum Ballhaus Wedding und waren pünktlichst um drei da.
Und was kann ich sagen: Sehr, sehr, sehr schön war es. Die Musik hangelte sich an den Big Band- und Swing-Klassikern der 40er, 50er, 60er Jahre entlang (keine Band, sondern DJ), und dazu waren ungefähr 30 Leute mit großer Altersbandbreite da (von Mitte 20 bis Mitte 70 würde ich sagen), die sich am Swing, Quick Step, Foxtrot, Lindy Hop und Rock’n’Roll versuchten. Alles sehr entspannt, keiner schaute auf den anderen, sondern man wollte einfach tanzen und Spaß haben. Und das hatten wir dann auch. Wir beide in erster Linie mit Quick Step, der noch ganz erstaunlich gut ging, und so ein bisschen improvisiert auch mit Swing und Foxtrot (die wir beide, da keine offiziellen Turniertänze, ja nicht so richtig gelernt haben, aber so schwer sind die nicht, wenn man Quick Step und Slowfox kann). Recht anstrengend, aber wir machten immer wieder mal Pause, tranken etwas, quatschten ein bisschen (wenig, da die Musik recht laut war) und genossen einfach die Atmosphäre. Sehr schöne Location übrigens, mit richtigem Parkettboden und antiken Möbeln und so, aber nicht zu „edel“, als dass man eingeschüchtert wäre. Einmal wurde ich tatsächlich auch von einem anderen Mann zum Tanzen aufgefordert, leichter Stressmoment, aber er war gar nicht komisch, sondern nett, und das Tanzen (improvisierter Swing) ging auch. Harhar.
Das Allerbeste außerdem: Meine Füße machten das Tanzen problemlos mit. Mit Pausen gute zwei Stunden, dann merkte ich so um zwanzig nach fünf, dass jetzt mein Limit erreicht war, und wir fuhren wieder heim. Richtig netter Nachmittag. Leider gibt es sowas halt tendenziell nur in Berlin. Und der Tanzpartner wohnt halt auch da (und ich nicht). Aber egal. Ich war übrigens sehr erstaunt, wie gut das Tanzen noch ging – ich habe doch ziemlich viele Schritte noch im Muskelgedächnis.
Daheim dann kurze Pause, ich zog mich wieder um (doch ziemlich geschwitzt) und telefonierte ein bisschen mit dem Liebsten, der daheim die Stellung hielt.
Um Viertel vor sieben gingen wir zum Abendessen aus dem Haus und trafen M in einem indischen/sri lankischen Restaurant in der Nähe, wo wir vor zwei Jahren schon einmal gewesen waren. Sehr, sehr, sehr gutes Essen. Wir teilten uns einen Pakorateller vorneweg, dann hatte S ein Dal mit dreierlei Linsen, M ein Jackfruit Curry und ich eine Art Auberginen-Jalfreezi. Wir probierten alle von allem (alles vegan) und es war einfach großartig. Allerdings auch grenzwertig scharf (mein Essen mit zwei Chilischoten und dem Hinweis „european spicy“, ich weiß nicht, was mit drei Schoten und „indian spicy“ passiert).
Um halb zehn wieder daheim und noch ein bisschen gequatscht, Schokolade als Nachtisch und gegen halb elf ins Bett. Mit dem ersten der beiden freien Berlin-Tage schon einmal sehr zufrieden.