Ein paar zusammenhanglose Gedanken zu einem Thema, das mich ja eigentlich überhaupt nicht betrifft – aber am Ende irgendwie doch: das Dicksein.
Ich war nie dick. Die ersten 25 Jahre meines Lebens war ich untergewichtig, als Teenager, da recht schnell in die Höhe geschossen, sogar deutlich untergewichtig, ich konnte essen, was ich wollte. Das ist nicht positiv gemeint im Sinn von „hurra, ich kann essen, was ich will!“ sondern im Sinn von „ich kann in mich reinstopfen, so viel ich will, und bleibe trotzdem knochig und mager“. Was übrigens noch zwei der netteren Attribute waren, die ich mir in jungen Jahren anhören durfte: knochig, mager, klapperdürr, Skelett und die übergriffige Aufforderung „Mädle, iss was, damit du was auf die Rippen kriegst…“.
Irgendwann änderte sich das, ich wechselte von furchtbar dünn zu nur noch dünn zu normal schlank. Und da bin ich jetzt. Ungefähr gleichzeitig merkte ich, dass ich jetzt tatsächlich nicht mehr alles essen konnte, ohne zuzunehmen, und seitdem versuche ich nicht mehr, alles zu essen, sondern ein bisschen im Blick zu haben, was und wie viel ich esse. Klappt bis jetzt ganz ok.
Soviel mal als Vorrede, Offenlegung, meine Position, Maße, Größe, Gewicht, blabla. Scheinbar ist es ja so, dass man sich als Frau zum Thema Gewicht nur äußern darf, wenn man entweder selbst übergewichtig ist oder mal war oder zumindest Angst hatte, es zu werden und sich außerdem ständig fett fühlt. Eine halbe Essstörung wäre auch nicht schlecht. Okay: Ich fühle mich nicht ständig fett oder habe Angst vorm Dickwerden oder muss immer Diät machen oderoderoder. Ich finde es aber völlig okay, wenn Frauen sich dick finden und darüber nachdenken, von ihrem Übergewicht runterzukommen. Warum? Weil Übergewicht nicht gesund ist.
Ich halte es tatsächlich für absolut wichtig, das ehrlich zu sagen: Übergewicht birgt für den Körper gesundheitliche Risiken. Das wird medizinisch auch nicht ernsthaft bestritten. Und trotzdem ist es so, dass, kaum wurde diese Binsenweisheit in irgendeinem Zusammenhang geäußert, irgendjemand „Health at every size!“ ruft und sich diskriminiert und fatgeshamed fühlt oder der Meinung ist, Übergewicht als Körperthema würde „medikalisiert“ (hallo, es ist ein Gesundheitsrisiko, es war schon immer medizinisches Thema).
Natürlich rede ich nicht von Leuten, die ernsthaft ein Problem mit ihrer Körperwahrnehmung haben und sich mager hungern – denen hilft man übrigens auch nicht, wenn man fröhlich „aber du bist doch nicht dick“ kräht, bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit. Magersucht ist eine ernstzunehmende Krankheit und sollte als solche wahrgenommen und behandelt werden. Aber es gab im Jahr 2018 knapp über 7000 diagnostizierte anorexische Störungen (zum Vergleich: ca. 8 Millionen Menschen mit Diabetes, davon 95% Typ 2). Magersucht ist nicht die große Gesundheitsbedrohung, wie man annehmen könnte, wenn man danach urteilt, wie das Thema medial (und sozial-medial) dargestellt wird. Übergewicht allerdings schon.
Jetzt könnte man ja sagen, es kann mir doch völlig egal sein, ob andere Leute dick sind oder nicht (und man hätte schon einen Punkt). Allein: Ganz so einfach ist es nicht. Zu einem großen Teil ist das der Body Positive- und FatAcceptance-Bewegung zu verdanken, die meiner Meinung nach völlig übers Ziel hinausgeschossen ist und regelrechten Schaden angerichtet hat. Es ist selbstverständlich okay, Leute zu einem positiven Körperselbstbild zu ermuntern (wobei man sich auch fragen darf, warum ich denn ums Verrecken jeden Aspekt meines Körpers „schön finden“ und „lieben“ soll und nicht auch einfach pragmatisch sagen darf „XYZ gefällt mir nicht so an mir, aber was soll‘s“, ohne dass man mir gleich Minderwertigkeitskomplexe oder whatever unterstellt), aber Menschen wichtige Informationen vorzuenthalten, Gesundheitsrisiken herunterzuspielen oder gar Leute runterzumachen oder anzugreifen, die den Versuch starten, ihr Übergewicht zu reduzieren, ist definitiv nicht okay. Da wird mit Zahlen um sich geworfen, die belegen sollen, dass das alles gar nicht so stimmt mit dem Risiko und es ja völlig falsch dargestellt wird und dicke Frauen „verunsichert“ und überhaupt ein ganz böses Unterdrückungsinstrument ist, wenn man über die Verbindung von Übergewicht und gesundheitlichen Problemen spricht. Das geht soweit, dass zu Mitte der Pandemie die Aufforderung in den sozialen Medien die Runde machte, man möge doch bitte aufhören zu sagen, dass Übergewicht ein Risikofaktor für Covid-Patient:innen sei, denn das stigmatisiere ja die armen dicken Menschen. Ständig wird dabei der Fokus von der Gesundheit weg auf den Bereich Körperimage gelenkt, was nicht nur das Thema verfehlt, sondern unglaublich patronising gegenüber den betroffenen Personen ist.
Ein paar kleine Beispiele, was nicht okay ist:
Ich bin dick. – Aber du siehst super aus! (Heißt: Dicke Leute sehen normalerweise nicht super aus, aber du schon. Heißt auch: Dein Kommentar über dein Körpergewicht hat mir irgendwie das Recht gegeben, dein Aussehen zu beurteilen. WTF.)
Ich würde gern abnehmen. – Wo willst du denn noch was wegnehmen? Du bist doch schon so dünn! (Heißt: Ich traue dir kein Urteil über dein Körpergefühl zu, lass mich mal, ich mache das besser. Indem ich dir ein negatives Label verpasse. Voll gut.)
Danke, ich möchte keinen Kuchen mehr. – Ach komm, gönn dir doch mal was! Man muss sich auch was erlauben! Das Leben ist kurz genug! Blablabla! (Heißt: Ich würde gern noch Kuchen essen und kann mir ums Verrecken nicht vorstellen, dass andere Leute aus einem anderen Grund nichts mehr essen, als dass sie es sich missmutig verkneifen. So wie ich mir. Deshalb dränge ich dich dazu, dann fühle ich mich besser.)
Woher kommt diese ganze ätzende, negative, aggressive Gemengelage, in der Frauen gleichzeitig gedrängt werden, schlank und jung/fit und dick und gesund zu sein (bitte nicht dick und krank, das ist zwar ein häufiges Szenario, will aber definitiv keiner hören)? Na klar, woher: Das Patriarchat ist schuld, Surprise. Genauer gesagt die unzulässige, aber ständig gemachte Verknüpfung von Körpergewicht und Aussehen/Schönheit, obwohl es hier um ein, ich wiederhole mich, Gesundheitsthema geht. „Du bist schön so, wie du bist!“ hilft halt einfach fuck-all, wenn man schwer Luft kriegt, Herz- oder Gelenkprobleme bekommt oder Diabetes. Das ist der eigentliche Kern: Frauen wurde jahrhundertelang beigebracht, ihren Selbstwert mit ihrem Aussehen zu verknüpfen. Möglichst präsentabel zu sein. Sich schön darzustellen, anziehend zu wirken, Schönheitsideale zu verkörpern. Diese inhärent frauenfeindliche und toxische Einstellung ist so tief in unseren Köpfen, dass es fast nicht möglich ist, körperbezogene Äußerungen nicht mit Aussehen zu verbinden und zu bewerten (daher der reflexhafte Klassiker „Ich bin zu dick“ – „also ich finde dich schön“). Und die FatAcceptance-Bewegung lässt hier das Pendel in die andere Richtung schwingen, spricht Frauen gewissermaßen das Recht auf Informationen zum Zusammenhang zwischen Körpergewicht und Gesundheitsrisiko ab und verhält sich dadurch genauso bevormundend und arrogant. (Ganz zu schweigen davon, dass es auch null okay ist, nicht-dicke Menschen mit Häme oder Aggression zu überziehen, genauso nicht okay wie fat-shaming jeder Art, logischerweise.)
Ich denke, jeder Mensch hat das Recht, dick zu sein, wenn er/sie das möchte. Aber jeder hat auch das Recht, ehrliche Informationen darüber zu bekommen, was gesundes Körpergewicht respektive Übergewicht für den Körper bedeutet und worin die Risiken liegen – und zwar ohne Verknüpfung mit Bewertungen zum Aussehen. Und wenn jemand sich für das Abnehmen entscheidet, dann hat er/sie das Recht auf Hilfe und Unterstützung (z.B. auch sehr gern über Hausärzte, Krankenkassen… es ist schließlich, wie gesagt, ein Gesundheitsthema). Letzter Kommentar zum Abnehmen: Ja, natürlich kann jeder abnehmen, alles andere wäre rein biologisch nicht möglich. Es kann auch jeder schlank bleiben. Aber das heißt nicht, dass es bei allen gleich easy funktioniert, im Gegenteil, für viele ist es sehr schwer, ohne dass sie „undiszipliniert“ oder sonst etwas wären. Die äußeren Umstände (mit zu wenig Alltagsbewegung, ständigem Zugang zu hochkalorischem Essen und, ja, Verharmlosung von Übergewicht) machen es uns schwer (plus bei manchen Menschen noch weitere Kontexte wie Depressionen oder Hormonelle Störungen). Deshalb: Ehrliche Informationen, Hilfe wenn gewünscht, und ansonsten: Frauen einfach mal in Ruhe ihre eigenen Entscheidungen treffen lassen. Wäre doch super.