Ich wachte um kurz vor sieben auf und freute mich an zwei Minuten Stille und Wärme, bis mir das Wahlergebnis vom Vortag wieder einfiel und meine Laune sofort auf den Nullpunkt sank. Half aber ja alles nichts, trotzdem musste Tee gekocht und ein hungriger Kater gefüttert werden, also stand ich auf und schlich mich aus dem Schlafzimmer. Erst einmal räumte ich Küche und Wohnzimmer auf und stellte dabei fest, dass der Kater den neuen Sessel endgültig als „meins“ deklariert hatte. Da der Sessel eigentlich nicht da mitten im Weg vor dem Schrank stehen bleiben sollte, wartet vermutlich noch eine Enttäuschung auf ihn. Wenigstens hatte er bis jetzt keine Löcher reingekratzt (nicht dass er es nicht versucht hätte, ich hatte ihn schon zweimal weggescheucht und Richtung Kratzbaum getragen).
Der Liebste war mittlerweile auch wach und holte die Zeitung rein. Ich ignorierte sie tapfer, nur auf die Detail-Wahlergebnisse warf ich einen Blick und stellte dabei fest, dass der unsägliche Mensch in der gesamten Kernstadt, Innenstadt und vor allem Südstadt (unser Viertel) ordentlich Stimmen verloren hatte – wären die Teilorte und eingemeindeten Dörfer nicht gewesen, wäre die Wahl anders ausgegangen. Die Nachbarschaft hatte sich also stabil gezeigt, immerhin. (Das war schon bei der letzten Bundestagswahl so: Die AFD-, Nazi- und Querwichtel-Dichte war deutlich unterdurchschnittlich. Hier leben nette Leute.)
Auf jeden Fall erst einmal Frühstück, der Liebste machte ein Müsli mit Himbeeren und Banane und rührte ein bisschen Cranberry-Saft unter (irgendwie müssen wir die Flaschen jetzt ja verbrauchen). Schmeckte erstaunlich okay. Ich machte parallel einen Wochenplan: Wir haben zwar die Woche Urlaub, aber ein bisschen planen wollte ich trotzdem, zumindest damit uns im Kühlschrank nichts schlecht wurde. Was nicht heißt, dass wir uns nicht die Freiheit nehmen, mal davon abzuweichen.
Dann unter die Dusche und aus dem Haus: Ich hatte mich entschieden, vor ein paar Tagen schon, jetzt mal ein bisschen Geld auszugeben (in die Hände spucken und Bruttosozialprodukt steigern und so), wenn es blöd auf dem Konto rumliegt, wird davon ja auch nichts besser. Und jetzt, wo die Laune mal so richtig im Keller war, kam eine Runde Shoppen gerade recht.
Zunächst gingen wir zum Alnatura: Ich hatte ja am Samstag nur frisches Gemüse geholt, der eigentliche Wocheneinkauf stand noch aus. Sehr angenehm, unter der Woche einkaufen gehen zu können, es war alles so sehr schön leer. Neben dem Alnatura noch zum Fressnapf für Katzenfutter (dort eine zuckersüße schokoladenbraune Labradorhündin aus dem Augenwinkel bewundert, ich hoffe sehr, sie ist nicht allzu sehr Modeopfer und wurde mit gesunden Gelenken und gesundem Hirn geboren) und zum dm, wo wir an so einem Glücksrad drehen durften wegen Ladenjubiläum. Hätte das Glücksrad an der Markierung gehalten, wäre das der Hauptgewinn gewesen, was mich sofort in Sorge versetzte (es wurde nicht gesagt, was der Hauptgewinn war, ich stellte mir tonnenweise Drogeriemarkt-Artikel vor, für die ich keine Verwendung hatte, oder noch unsinnigere Dinge, ein Auto oder so). Wir entgingen dem Hauptgewinn aber und durften uns stattdessen eine kleine Produktprobe aussuchen (der Liebste nahm Kekse, ich ein Duschgel, das ich auch nicht brauchte, aber es war klein und sah hübsch aus).
Daheim räumte ich die Einkäufe weg und wollte dann eigentlich gleich wieder aus dem Haus, aber da war es dann schon Viertel nach zwölf und der Liebste intervenierte. Er machte uns die zweite Hälfte Kartoffeln und Bohnen in der Pfanne heiß, also Mittagessen, danach Espresso.
Aber keine lange Pause, wir nahmen uns den Wagen und gingen zum Weinhändler unseres Vertrauens, Vorräte auffüllen. Wir hatten zwar erst am Samstag drei Flaschen Merlot geschenkt bekommen, aber davon abgesehen waren unsere Weinvorräte sehr aufgebraucht, insbesondere für meine Bedürfnisse (ich tendiere eher zum Weißwein). Und den für den Fall eines erfreulichen OB-Wahlergebnisses kühl gestellten Crémant konnten wir ja jetzt auch nicht aufmachen.
Der Einkauf war ein bisschen absurd: Da wir beide schon lang zu diesem Weinhändler gehen und uns dort auch schon häufiger haben beraten lassen, wussten wir beide ziemlich genau, was wir wollten, und das führte dazu, dass der Liebste, der sowieso eher zum Einkaufsverhalten „Abhaken“ als „Bummeln“ tendiert, mehr oder weniger wortlos durch den Laden marschierte und Flaschen auf den Verkaufstresen stellte. Ich kaufte währenddessen bei der Angestellten, die die Prozedur leicht verwundert betrachtete, Eintrittskarten für eine Veranstaltung in einigen Wochen (Weinkultur und so) und ließ mir dafür eine Kundenkarte machen, damit wir die Karten verbilligt bekamen. Nun bin ich ja überhaupt keine Freundin von Kundenkarten, aber erstens beinhaltete das Ganze keine physische Karte, sondern nur einen Eintrag in der Datenbank, und zweitens war der Hauptpunkt der Kundenkarte (neben gelegentlichen Vergünstigungen) die Information über Aktionen per Newsletter, und den bekam ich sowieso.
Mit 15 Flaschen Wein und zwei Eintrittskarten gingen wir wieder heim. Das Wetter, das morgens noch sehr ungemütlich und nieselig gewesen war, hatte sich langsam berappelt, es war nicht kalt (aber auch nicht unangenehm warm) und einigermaßen trocken. Wir trugen den Wein ins Haus und gingen sofort wieder los, dieses Mal in die Innenstadt. Der Liebste wollte eigentlich gar nicht mitkommen, ließ sich aber durch ein Café mit ausgezeichnetem Hafermilchkaffee in Ladennähe überzeugen. Der Laden: Ein Sportartikelgeschäft im Zentrum, ich wollte neue Laufschuhe.
Ausgesprochen gute Beratung dort, für mich ziemlich überraschend (ich bin in Läden generell schlechte und unfreundliche Beratung gewöhnt, und dabei stehen – neben Fahrradfachgeschäften – Sportläden ganz oben, es gibt einen Grund für meine Onlineeinkäufe). Ich probierte ungefähr acht Paar Schuhe an, ließ mich beim Laufen filmen, joggte im Kreis durch den Laden und wählte am Ende ein Paar strunzhässliche, aber bequeme Nike-Laufschuhe. (Es waren sowieso einfach alle sehr, sehr hässlich.)
Und da ich gerade dabei war, schaute ich noch nach einer Laufhose. Ich wollte keine Tights, was 99 Prozent aller Hosen ausschloss, der Verkäufer hatte eine nicht-Tights, die allerdings unmöglich aussah, und dann noch eine Winterhose: Mehrere Schichten, davon die oberste wind- und wasserabweisend, anliegend, aber nicht zu eng, okay aussehend und ausgesprochen warm. Das Konzept überzeugte mich völlig, nur der Preis ließ mich schlucken: Sie kostete 50% mehr als die neuen Schuhe. Aber wenn andererseits diese Hose ein Tool ist, das mich beim Laufen über die Winterschwelle bringt, dann wäre damit viel gewonnen. Ich entschied mich also dafür und nahm außerdem noch eine ganz einfache Trainingshose mit, so fürs Fitnessstudio, diese dann wieder niedrig zweistellig. (Ach ja, der Liebste: Natürlich ging er dann doch mit in den Laden und kaufte Hose und Shirt für sich.)
An der Kasse etwas längere Wartezeit, während die Kassiererin nach unserem Guthaben schaute. Es war nämlich so, dass ich 2019 in meinem Sabbatical meine Lowa-Trekkingschuhe ruiniert hatte. Da die Schuhe zu dem Zeitpunkt erst wenige Wochen alt gewesen waren und es eigentlich nicht passieren darf, dass sich einfach so die Sohle ablöst, hatte der Liebste reklamiert und den Gegenwert der Schuhe als Gutschrift bekommen (eigentlich hatte ich mir gewünscht, dass Lowa die Schuhe repariert, aber das war wohl zu viel der Hoffnung). Und diese Gutschrift hatten wir jetzt, nach drei Jahren, immer noch nicht eingelöst, sie war aber noch gespeichert (wenn auch in den Tiefen des Systems): Tada, Laufschuhe quasi schon bezahlt.
Nach dem Einkauf gingen wir ins Café nebenan für einen Hafermilchkaffee und einen veganen Brownie (gut, aber mir zu süß und zu mächtig), und dann machten wir auf dem Heimweg noch einen Schlenker zum Optiker: Ich musste mein Augenproblem jetzt endlich mal angehen. Die Optikerin ruinierte den zwischenzeitlich positiven Eindruck des Innenstadt-Einzelhandels beinah wieder, als sie mir erklärte, dass ich offensichtlich über Jahre den Begriff der Weitsichtigkeit nicht verstanden hatte, da ich nämlich weitsichtig sei, ohne weitsichtig zu sein, und trotzdem gleichzeitig kurzsichtig – oder so ähnlich, es ergab keinen Sinn und war, da würde ich mich jetzt einfach mal festlegen, auch schlicht und ergreifend Blödsinn, aber egal, ich machte einen Termin für einen Sehtest aus und wir gingen heim. Ich hatte endlich neue Laufschuhe, da ließ ich mir von einer merkwürdigen Optikerin doch nicht die Laune verderben.
Daheim ging es dem Liebsten dann nicht so gut, er hatte ziemlich Kopfweh und verzog sich erst aufs Sofa und dann in die Werkstatt, während ich meinen Energieschub in Hausarbeit umsetzte: Sortierte Wäsche und startete eine Maschine, putzte im Obergeschoss Bad und Schlafzimmer, bügelte ein bisschen. Und weil ich dann schon unten war und der Liebste gerade aus der Werkstatt kam, lotste ich ihn ins Gästezimmer/Hobby-&Nähzimmer, wo wir eine Stunde lang aus alten Handtüchern Putzlappen nähten. Also ich nähte, der Liebste schaute zu und griff ein, wenn es kompliziert wurde oder ich nicht mehr weiter wusste. Das hätte ich vor ein paar Jahren auch nicht gedacht, dass ich mich an eine Nähmaschine setzen würde, aber mit Anleitung… und bei einem Werkstück, wo man quasi nichts kaputtmachen kann… Sehr zufrieden. (Nur das Knie begann wegen dem Treppauf-Treppab weh zu tun, aber irgendwas ist ja immer.)
Um das Abendessen kümmerte ich mich, ein großer Topf Pasta e Fagioli, sehr lecker. Für das Essen brauchte man ein bisschen Rotwein zum Verkochen, also machte ich eine Flasche geschenkten Merlot auf, und da er dann schon offen war, schenkten wir uns auch jeweils ein Glas ein, logisch. Und das war schon ein sehr leckerer Wein. Dazu gingen wir dann ein bisschen nach Atlantis (…zehn Folgen noch). Insgesamt war das ein ganz erfolgreicher Tag gewesen und wir hatten fast ganz überhaupt gar nicht an das katastrophale Wahlergebnis gedacht. Vielleicht wird das meine Strategie für die nächsten Jahre, ich mache ab jetzt einfach nur noch niedliche Handarbeiten, organisiere „Mädelsabende“ und schreibe einen Katzenmama-Blog oder so.
Vielleicht aber auch nicht.