Aufgewacht um zwanzig nach sieben, wenig überraschend war ich die erste im Haus und machte mir erst einmal eine Tasse Jasmintee. So zwanzig Minuten später wachte S auch auf und wir begrüßten uns erst einmal (wir hatten uns nachts ja nicht mehr gesehen). Kurz darauf wurde dann auch M wach und ging uns schnell Brötchen, Hafermilch, Aufstrich zum Frühstück holen, während ich die Zeit nutzte, schnell unter die Dusche zu springen.
Dann mussten wir erst noch einen Handwerkerbesuch hinter uns bringen, der von der Hausverwaltung geschickt worden war, um einen Blick auf den scheinbar nicht-austauschbaren (aber scheinbar doch nicht, alles kompliziert) Warmwasserzähler zu werfen, und danach hatten wir dann erst einmal ein gemütliches Frühstück zusammen.
Um Viertel nach zehn fingen M und S dann an zu arbeiten (beide im Home Office, aber mit einer Tonne zu tun), und ich (als Plan „Freitag allein beschäftigen) machte mich auf den Weg in die Stadt. Erster Stopp: zu Fuß nach Moabit, in ein nettes veganes Café (Monkey Mind in der Bredowstraße). Ziemlich klein (man fragt sich so ein ganz kleines bisschen, ob es das in anderthalb Jahren noch geben wird), nicht voll und ausgesprochen gemütlich. Ich blieb dort eine gute Stunde zum Schreiben, eine Tasse Hafermilchkaffee und einen Ingwertee.
Im Übrigen, Moabit. Schon auf dem Fußweg nach Moabit (so ca. 30 Minuten, ganz angenehm zu laufen, wenn auch teilweise an der Hauptstraße entlang und mitten durchs alte Industriegebiet, am Kraftwerk und am „Westhafen“ vorbei und so, aber ich schaue mir manchmal so Industriegebiete ja ganz gern an) sah ich interessanterweise ein Schild „Denkmal Güterbahnhof Moabit Treppenabgang nutzen“ und ging dem Schild nach (über den Treppenabgang kam ich vom Fußweg neben der Autostraße – auf Stelzen – eine Ebene tiefer ins Wohngebiet). Leider war von dem Denkmal dann nichts zu sehen, vermutlich war es noch ein Stück weiter weg (so weit wollte ich nicht laufen). Aber irgendwie lustiges Industrie-Wohn-Mischgebiet: die typische Kopfsteinpflaster-Straße mit Wohnhäusern auf der einen Seite, und auf der anderen eine etwas bizarre Mischung aus Autohandel, Schrotthandel, asiatischem Import-Export (von Essen, vielleicht auch Opium oder sonst etwas) und sonstigen mehr oder weniger klaren Kleinfirmen. So eine Kulisse, die in einem Tatort wunderbar funktioniert hätte. Ich fand alles ausgesprochen interessant anzuschauen und ging zufrieden lächelnd durch die Straßen, aber natürlich wohne ich da auch nicht.
Auf jeden Fall dann weiter zur Arminiusmarkthalle in Moabit. Das letzte Mal war ich 2016 mit dem Liebsten dort gewesen, und wir hatten das ganze Ambiente und alles als toll empfunden, deshalb wollte ich wieder vorbeischauen. Nun ja: Das Gebäude (denkmalgeschützt, Backstein und Stahlträger) ist immer noch wunderschön, aber aus der Markthalle ist gefühlt ein 90%-Gastrobetrieb geworden, und zwar von der eher besserverdienenden Sorte (mehr Trüffelnudeln als Currywurst). Nun sind Markthallen zwar immer schon eher für hochpreisiges Sortiment bekannt gewesen, der typische Aldikunde würde dort eher nicht sein Gemüse holen, aber trotzdem hätte ich wenigstens genau das erwartet: Gemüse und so. Das sah ich jetzt nicht mehr so richtig. Es gab einen Fischverkäufer, einen Käsestand, einen Bäcker, eine Fleischtheke, und ansonsten Gastro. Mit Cocktailkarte und Tapas und so weiter. Hm.
Egal, es war Mittagszeit und ich ging ins Mana, kleines veganes Bistro direkt neben der Markthalle, wo ich die nächsten anderthalb Stunden verbrachte. Auch sehr, sehr nett und nur halb voll, alles sehr gemütlich. Roiboshtee und Avocado-Sauerteigbrot mit Sprossen, wie klischeehaft kann eine Speisekarte sein (es gab auch Shakshuka und Scambled Tofu und Granola Bowls, lol), aber tatsächlich ausgesprochen gut. Danach noch ein doppelter Espresso und eine „Cinnamon Roll“, was faktisch ein Kuchen aus Zimtschnecken war, extrem mächtig, etwas zu süß, aber schon auch sehr gut. Ich hatte allerdings das Gefühl, danach erst mal für eine ganze Weile nichts mehr essen zu müssen. Machte nichts, ich hatte mir ein neues Buch mitgenommen und verbrachte insgesamt dort eine ganz ausgesprochen nette Zeit.
Für den Nachmittag hatte ich mir Staatsbibliothek und/oder Deutsches Historisches Museum vorgenommen, ich fuhr also als Nächstes so richtig schön ins Tourizentrum, Haltestelle Unter den Linden. (Kleine Nebenbemerkung: Ich machte alles mit Google Maps, was einerseits wunderbar funktionierte, aber andererseits merkte ich, wie mir eine Orientierungskompetenz verloren ging bzw. sich nicht einstellen wollte, die ich früher spätestens nach einem Dreivierteltag in einer neuen Stadt gehabt hatte, nämlich eine mentale Landkarte des ÖPNV-Netzes inklusive der wichtigsten Richtungen und Knotenpunkte. Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, dass einem das Handy diese Denkarbeit abnimmt. Ich kann mir auch keine Telefonnummern mehr merken. Und meine Kursteilnehmenden können teilweise nichts mehr in einem alphabetischen Wörterbuch nachschlagen, weil sie alles über Suchfunktionen zu machen gewöhnt sind.)
Die Staatsbibliothek stellte sich erst einmal als Reinfall heraus. Das ganze Gelände war voll mit Menschen, von denen viele eigentlich nur das Gebäude ansehen wollten und Fotos machen, neben den klassischen Touris auch eine Hochzeitsgesellschaft, die offensichtlich nur die Kulisse für die Fotos suchte, sowie ein paar Gruppenbilder von irgendeinem Alumnitreffen. Dann wollte ich dringend aufs Klo, das Damenklo war aber „wegen Reinigung geschlossen“, einen Reinigungsvorgang nahm ich da nicht wahr, nur einen Putzwagen und halt eine Absperrung, nerv. Und als ich in die Lesesäle hochfuhr, waren diese auch geschlossen, denn „die Maximalzahl an Besuchern für die Lesesäle ist für den heutigen Tag erreicht“, harhar. Ich lies das also bleiben und ging zu Fuß zum Historischen Museum, denn dort gab es zumindest ein Klo und die Ausstellung interessierte mich sowieso.
Das war eine gute Idee: Im Museum verbrachte ich den restlichen Nachmittag. Die Daueraustellung ist dort momentan geschlossen und wird neu gemacht, es gab aber zwei Sonderausstellungen, einmal eine über Wolf Biermann (die interessierte mich jetzt nicht so sehr, no offence) und dann eine zweite, wegen der ich eigentlich gekommen war. Der Titel war „The Roads Not Taken“ und die Ausstellung beleuchtet zwölf Wendepunkte der jüngeren deutschen Geschichte (von 1848 bis 1989) unter dem Blickwinkel, was wäre, wenn sich hier ein paar Faktoren anders dargestellt hätten und es anders gekommen wäre. Was, wenn 1848 der preußische König die Kaiserkrone angenommen hätte? Wenn 1918 Thälmann Scheidemann bei der Ausrufung der Republik zuvorgekommen wäre? Wenn 1929 die Sparpolitik Eberts schneller erfolgreich gewesen wäre und es zu einem Aufschwung gekommen wäre, bevor die Nazis die Wahlen gewinnen konnten? Wenn das Attentat auf Hitler 1944 erfolgreich gewesen wäre? Wenn 1945 die Brückensprengung bei Remagen funktioniert hätte und die Alliierten nicht so schnell über den Rhein hätten vordringen können – und der Krieg nicht im Mai1945 geendet hätte, sondern erst einige Monate später? Wenn 1989 die Revolution in Leipzig und Berlin genauso niedergeschlagen worden wäre, wie wenige Wochen zuvor die Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Bejing?
Natürlich ist dieses Was-wäre-wenn nicht weiter als ein interessantes Gedankenspiel, teilweise auch etwas zu holzschnittartig, denn oft sind diese Prozesse ja ausgesprochen multifaktoriell und nicht so einfach auf wenige Einzelentscheidungen herunterzubrechen wie in der Ausstellung suggeriert. Aber gut gemacht und informativ war es schon, mit vielen interessanten Dokumenten, vielen akustischen O-Tönen, gut graphisch umgesetzt. Ein echter Traum für Schulklassen, würde ich mal behaupten, und dementsprechend waren auch drei Führungen in den zwei Stunden dort, die ich in der Ausstellung verbrachte (alle drei interessanterweise auf Englisch). Ein kleines bisschen nervig, aber ich konnte das Gelaber ganz gut ausblenden.
Um halb sechs ging ich wieder in Richtung U-Bahn, mittlerweile natürlich dunkel draußen und recht kalt (ich war froh über meine Wollmütze). Zweimal U-Bahn, sehr voll (ich nahm mal wieder meine Maske, denn wo, wenn nicht da), ein paar Schritte zu Fuß und pünktlich um sechs war ich wieder bei S in der Wohnung im Wedding. Dort kurze Pause, wir erzählten so ein bisschen vom Tag (M und S hatten quasi durchgehend gearbeitet), ich trank etwas und dann passte es tatsächlich ganz gut, dass ich zwanzig Minuten mit dem Liebsten telefonieren konnte. (Threema Videocall btw, ging ganz ausgesprochen gut.)
Gegen halb acht gingen wir dann aus dem Haus – wir hatten kurz überlegt, gemeinsam etwas zu kochen, aber wir hätten erst noch schnell was einkaufen müssen, und das wäre alles etwas stressig geworden. Also stattdessen in ein kleines indisches Restaurant im Wedding (Naveena Path), das in der Kuh ausgesprochen lobend erwähnt worden war, mit ungefähr 70% veganer Karte, ein Restaurant, in dem S und M sehr häufig waren und das definitiv den Fokus mehr auf gutes Essen als auf schicke Inneneinrichtung setzte. Was mir aber völlig egal war, ich fand die etwas random zusammengewürfelte, leicht verratzte Deko eher lustig. (Und das Klo war sauber, da war es mir fast egal, dass ich beim Türöffnen plötzlich den Griff in der Hand hatte.)
Sehr gutes Essen: Wir teilten uns zuerst einen Pakorateller, danach hatte ich ein cremiges Linsendal mit Tofu, wirklich ausgesprochen delikat. Auch bei den anderen sah alles großartig aus, einziger kleiner Kritikpunkt von meiner Seite: eine Menge Gerichte mit Rosinen als Zutat. Warum, fragt man sich.
Für den restlichen Abend gingen wir dann noch in eine kleine Kneipe ums Eck, Friedrich’s, die zwar ganz nett eingerichtet war, aber die Karte, nun ja (der Apostroph im Namen hätte mich schon warnen müssen). Erstens war beim Bier die Brauerei nicht angegeben, schon mal blöd. Dann hatten sie bei den Spirituosen an Whiskyauswahl „Jim Beam, Jonny Walker, Whisky Cola“, na super, und als Höhepunkt dann bei der Weinkarte folgende Angaben: „Wein: Rotwein (trocken oder halbtrocken), 01 oder 02. Weißwein (trocken oder halbtrocken, 01 oder 02.“ Ähm, WTF?
Ich entschied mich auf jeden Fall für ein großes Alster und danach einen okay-en G&T, und das passte dann schon. Dazu viel Gequatsche über alles Mögliche, und irgendwann so um halb zwölf entdeckten wir ein Backgammonbrett im Regal in der Ecke, und da ich gern Backgammon spiele und S und M beide die Regeln nicht kannten, verbrachten wir damit dann die letzten anderthalb Stunden des Abends: Ich googelte die Startaufstellung, erklärte die Regeln (ist ja schnell erklärt) und dann spielten wir ein bisschen. Und das war ein ausgesprochen schöner Ausklang des Abends.