Ich wachte zum Geräusch von prasselndem Regen auf und stellte zu meiner Überraschung fest, dass ich durchgeschlafen hatte. Sehr gut, denn ich hatte sehr wenig Zeit am Morgen und außerdem hatte die Ärztin mir gesagt, das Medikament (zum Trinken) solle möglichst lang im Körper bleiben, und das hatte schon mal geklappt.
Ich machte erst einmal Tee, fütterte den Kater, beförderte einen kleinen Frosch wieder nach draußen und machte Müsli. Dann eine sehr schnelle Dusche, ich musste noch früher aus dem Haus als sonst schon: Heute war in der Firma Mitarbeitertag und Ausflug und Betriebsfest und so weiter, und wir starteten den gemeinsamen Tag mit einer Runde Yoga um acht.
Ich kam leicht gehetzt an, und die Stimmung war auch erst einmal etwas angespannt, aber dann war diese eine Stunde Yoga wirklich, wirklich super. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal Zeit für einen Kurs hatte, und es war auch alles sehr anstrengend, aber es tat mir (und dem Arm) gut. Um neun kamen wir alle sehr entspannt aus dem Raum und trafen auf die anderen Kolleg:innen, die sich zu einem ersten Kaffee auf der Terrasse versammelt hatten. Start war ab neun, aber sehr entspannt und mit viel Zeit für Quatschen und ankommen und… Ich nahm mir also auch einen Kaffee und nach zwanzig Minuten einen weiteren, und dann ging es irgendwann schließlich gemeinsam los.
Eigentlich wäre für den Tag ein klassischer Ausflug geplant gewesen, mit Zugfahrt und Wanderung und so weiter. Aber dann hatte sich herausgestellt, dass es auf der Zugstrecke zwei Schienenersatzverkehre geben sollte, und das Wetter war auch als schlecht angekündigt – tatsächlich regnete es immer noch in Strömen und hatte lauschige 15 Grad. Das Vormittagsprogramm war also kuzerhand in die Firmenräume verlegt worden, und zwar in Form eines Barcamps.
Das Konzept Barcamp war mir bis dahin zwar schon ein paar Mal begegnet, ich hatte aber noch nie an einem teilgenommen und wusste nicht so ganz genau, was mich da erwartete. Eine „Unkonferenz“ hieß es, ohne Ziel, jede:r war Experte, die Inhalte wurden im Lauf selbst entwickelt. Hm, so weit so gut. Bei uns lief das Ganze so ab:
Am Anfang gab es eine kleine Runde, in der jede:r den Namen sagte und dann zwei bis drei Wörter, die für die Person interessant waren, eine Bedeutung hatten, eine Rolle in ihrem Leben spielten… irgendwie so. Die Wörter wurden auf Post-it’s geschrieben und in einer Wolke an der Tafelwand befestigt. Und dann gab es Zeitslots: von 10 bis 10:30 Uhr, von 10:30 bis 11 Uhr, von 11 bis 11:30 Uhr, und außerdem insgesamt sechs Räume, also sechs mal drei: achtzehn verschiedene Gruppen, die sich treffen konnten. Dann wurde in die Runde gefragt: Wer interessiert sich für… (ein Wort aus der Wolke), und wenn der*die „Besitzer:in“ des Wolkenwortes einverstanden war, dann gab es zu diesem Thema einen Zeitslot. Z.B. hatte ein Kollege „Aikido“ genannt, das interessierte mich, also sagte ich „ich würde gern was über Aikido erfahren“, Kollege S wurde gefragt, hast du Lust, was über Aikido zu erzählen – ja, konnte er gern machen, Zeitslot, fertig.
So hatten wir innerhalb von einer Viertelstunde quasi eine Art spontaner Workshop-Programm zusammengestellt, aus dem Team heraus, mit unterschiedlichsten Themen und Ausrichtungen, und es war fast schwer, sich für etwas zu entscheiden. Zusätzlich, als „Joker“ sozusagen, war eine Frau eingeladen, die Kurse für kreatives Malen unterrichtet und schon mehrmals bei uns war (mehr für die Kursgruppen als für die Mitarbeitenden). Man konnte also, wenn man bei keinem Workshop mitmachen wollte, auch ins „Malzimmer“ gehen und fand dort Leinwand, Papier, Farben, Pinsel, Schwämme und so weiter und konnte sich austoben.
Die nächsten Stunden war ich also zunächst im „Workshop Wandern“, der schlicht und einfach daraus bestand, dass ein paar Leute, die gern wanderten, innerhalb von sieben Sekunden ins Gespräch kamen und ihre schönsten Wanderrouten und Tipps austauschten. Nach einer halben Stunde kam ich aus diesem Workshop und hatte eine Liste mit Ideen für Wandertouren in der Region und weiter weg, und wenn das Barcamp jetzt zu Ende gewesen wäre, hätte es sich schon mehr als gelohnt.
Es ging aber noch weiter, der zweite Workshop stand unter dem Motto „Betriebshund“, denn der Chef, der mir ja schon von dem Welpen-Neuzugang erzählt hatte, der demnächst unsere Büroräume unsicher machen wird, machte diese Ankündigung jetzt offiziell und erzählte jedem davon, der davon hören wollte. Und das wollten eine Menge, alle waren begeistert, es wurden Welpenbilder gezeigt und bewundert, alle erzählten von Hundeerfahrungen und –wünschen, und um dem ganzen noch die Krone aufzusetzen, hatte eine Kollegin sogar für den ganzen Tag ihren italienischen Wasserhund Sam dabei, der unter ihrem Stuhl lag, sich knuddeln ließ und als Betriebshund-Anschauungsobjekt diente.
Dritter Workshop war dann „Aikido und Japan“, also mein Wunsch gepaart mit einer Kollegin, die ein Jahr in Japan verbracht hatte. Wir bekamen vom Kollegen S eine kleine Einführung ins Aikido, probierten ein paar Schritte und Bewegungsabfolgen selbst aus, durften paarweise üben, und zu guter Letzt erzählte die Kollegin noch von ihrer Zeit in Japan und ihrem Japanologie-Studium und vom Japanischlernen und überhaupt. Alles hochinteressant.
Eigentlich wäre jetzt das Barcamp vorbei gewesen und wir hätten uns zum Brunch auf der Terrasse getroffen, da es aber immer noch regnete, verlängerten wir um vierzig Minuten. Das nutzte ich, um ins Malzimmer zu gehen und ein bisschen rumzuklecksen. Nun bin ich ja überhaupt kein kreativer Mensch, aber da das alles so ohne Druck und „Konzept“ und völlig entspannt ablief, fing ich einfach mal ein bisschen mit Farben an und pinselte so vor mich hin, es hatte etwas sehr Meditatives, und das Ergebnis am Schluss gefiel mir sogar gar nicht so schlecht.
Um halb eins war es immer noch empfindlich kühl, aber der Regen hatte endlich aufgehört, mit Fleecejacke war es ok. Wir trafen uns also zum „Brunch“ (eher Mittagessen) auf der Terrasse, mit Obst, Müsli (es gab Hafermilch), Brötchen und Croissants. Nicht das inspirierteste Mittagessen, aber ich war satt danach, und überhaupt waren die Gespräche ja das Wichtigste. Und davon gab es einige, alle waren nach dem Vormittag richtig entspannt und gelöst. Erstaunlich, wie gut das geklappt hatte. Letzter Programmpunkt in der Firma war ein Quiz inkl. Geschenkübergabe, das eine Kollegin organisiert hatte, um zwei aufhörende Kolleginnen zu verabschieden. Das fühlte sich komisch an, mit einer der beiden hatte ich ewig (vierzehn Jahre) zusammengearbeitet, und dass sie jetzt etwas Anderes macht (und dann auch noch spannend mit Ausland und so), das ist ein merkwürdiges Gefühl.
Und endlich, endlich verzogen sich auch die Regenwolken und wir waren bereit für eine kleine Wanderung. Um Viertel vor zwei gingen wir los zu einer Kapelle im Nachbarort, malerisch außerhalb auf einem Hügel gelegen. Der Weg führte einmal quer durch den Wald, an Schloss und Bismarkturm vorbei. Am Schloss wurde für jeden (der mochte) Sekt ausgepackt, was uns (alle mit kleinen rosafarbenen Sektfläschchen in der Hand) das Aussehen eines Junggesellinnenabschieds verlieh. Interessante Beobachtung einer Kollegin in meinem Alter: Die älteren Kolleg:innen (damit waren Leute wie wir gemeint, so Mitte-Ende Vierzig) sagten alle locker ja, als es um den Sekt ging, während die Kolleginnen in den Zwanzigern und Dreißigern alle abwinkten (es ist doch noch so früh am Tag, die Sonne, ich vertrage das eher nicht, sonst kann ich nachher nicht weiterlaufen…). Ausnahmen bestätigen natürlich wie immer die Regel, aber es war schon ein bisschen witzig.
Unterwegs kam so richtig die Sonne raus und es wurde ordentlich heiß, außerdem gab es ein paar Treppenstufen und am Ende eben auch einen Hügel zu erklimmen. Ich wechselte ins T-Shirt (ich hatte meine Yogasachen im Rucksack), war aber trotzdem (mit Unterhemd, Jeans und Turnschuhen) schweißgebadet. Und durstig.
Von der Kapelle gingen wir zum Kapellenkiosk, wo wir erwartet wurden, es gab Kaffee oder kühle Getränke und Eis (ich nahm keins, ein alkoholfreies Hefe stattdessen). Wir waren an den kleinen Tischen im Freien vor dem Kiosk nicht die einzigen und wurden von einem Mann angesprochen, der eine unserer Kolleginnen kannte. Er hatte Interesse „an Französisch“, worauf uns eine andere Kollegin damit überraschte, dass sie die Visitenkarte des Französischkollegen aus der Handtasche zog (Es gab eine logische Erklärung, aber trotzdem Gelächter.)
Mit dem Bus fuhren wir um halb fünf zurück in die Stadt. Ich ging erst einmal heim, quatschte eine Runde mit dem Liebsten, stellte mich unter die Dusche und zog mich um. Um zehn vor sieben ging ich auf den Bus und fuhr hoch in die Nordstadt, wo wir den Teamtag mit einem Grillfest abschlossen. Den Abend über: viel gegessen (vegane Wurst, Maiskolben, Salat), drei Bier und alkoholfreie Sachen, viel geredet mit unterschiedlichen Leuten, ein bisschen am Feuer gestanden, ein bisschen getanzt. Es war eine schöne Atmosphäre, wie überhaupt den ganzen Tag über, alle waren wirklich entspannt. Und ich eigentlich auch, aber gegen elf wurde ich plötzlich irgendwie melancholisch und unruhig und merkte, dass mein Menschen-Limit für diesen Tag deutlich, deutlich erreicht war. Ich mochte nicht lang herumsuchen und nach Mitfahrgelegenheiten fragen, der Stadtbus würde fahren, aber nicht mehr so oft… ich rief also den Liebsten an, der mir angeboten hatte, mich abzuholen. Er war zwar schon halb auf dem Sofa eingepennt, aber er buchte ein Auto und holte mich um halb zwölf ab. Wir fuhren noch eine Kollegin heim, die bei uns ums Eck wohnte, und gegen Mitternacht fiel ich schließlich ins Bett – nach einem vollen, ausgefüllten, anstrengenden und schönen Tag.