Ziemlich schlechte Nacht, ich lag ewig wach und hatte trübselige Gedanken, während es im Zimmer warm war und ich keine gute Liegeposition fand. Irgendwann schlief ich doch ein bisschen, eine Viertelstunde vor dem Wecker war ich wach. Der Liebste war auch nicht ausgeschlafen, dementsprechend waren wir beide nicht so furchtbar gut gelaunt, aber wenigstens hatten wir genug Zeit. Wir gingen also erst einmal duschen und zum Bäcker frühstücken (quasi schon Routine, die gleichen Sachen wie die letzten Tage, man fühlte sich fast schon als Stammgast, zumal die Verkäuferin vom Samstag wieder da war), dann wieder zurück und packen. Der Liebste machte uns noch ein Vesper aus eben gekauften Brötchen, dann verstauten wir sämtliche Einkäufe und alles in den beiden Koffern, und trotz neuer Schuhe und Bücher und Klamotten bekamen wir alles unter. Wir hatten natürlich auch deutlich weniger Essen dabei als bei der Herfahrt.
Um zehn checkten wir aus (wirklich gutes Hotel, sehr empfehlenswert) und fuhren mit dem Bus zum Hauptbahnhof, wo wir unser Gepäck einschlossen und noch einen halben Tag hatten, den wir in der Stadt verbringen konnten.
Nur dass wir eigentlich gar nicht so richtig Lust auf Stadt und bummeln und so hatten: Es schneite und war windig, also überhaupt kein schönes Wetter zum Draußensein, und wir waren beide müde und durchgefroren und ein bisschen mäh. Wir zickzackten also ein bisschen durch die Straßen und verschwanden relativ bald im Café The Heart of Joy, das in der Kuh als vegetarisch angegeben worden war.
Was sich als ausgesprochen merkwürdiges Café herausstellte: Einerseits sehr hell, offen, freundlich, mit einer tollen veganen Auswahl und sehr gutem Kaffee und Kuchen (Raw Cashew Cheese Cake für den Liebsten, Dinkel-Apfelkuchen für mich), andererseits deutlich zu sehr esoterisch verschwurbelt. Das Café wird von der Sri Chinmoy-Foundation getragen, und wenn man nicht weiß, wer Sri Chinmoy war (ein indisch-amerikanischer Guru), dann erfährt man es spätestens zwei Minuten nach Betreten des Cafés, denn die Wände sind gepflastert mit seinen Bildern, seinen Sprüchen (die Bilder ganz nett, die Sprüche… du liebe Güte, man könnte Instagram-Kacheln daraus machen) und Fotos von ihm: beim Marathon, beim Händeschütteln mit dem Dalai Lama, beim Fototermin mit Nelson Mandela… und dazu zwei Messing-Statuen, eine ungefähr 30 Zentimeter große auf einem kleinen Brett an der Wand und eine in Lebensgröße im Eck. WTF. Ein Kommentator in der Kuh schrieb „the café definitely has a culty vibe to it“, und ja, das kann man so sagen. Nun kann ja jeder seiner Glaubensrichtung anhängen, kein Problem (und wie gesagt, Service sehr nett, Essen sehr gut), was mich nur gestört hat, waren die Kleinigkeiten in der Speisekarte: Es wird in der Küche keine Mikrowelle benutzt. Und beim Kochen nur „energetisiertes Wasser“. Und natürlich kein „Industriezucker“ in den Kuchen. Und… Schwurbelalarm. Auch hier wieder: Von mir aus kann das jeder halten, wie er will, genervt war ich nur, als ich auf der Frühstückskarte sah, dass das frische („ayurvedische“) Porridge mit Nüssen 9,60 Euro kostete, und das gleiche frische Porridge mit Nüssen und dazu noch einem Glas Tulsi-Tee „mit heiligem indischen Basilikum“… 17,40 Euro. Oh sorry, ich habe gerade nachgeschaut, es ist noch ein Glas Saft dabei. Das erklärt natürlich den Preisunterschied und nicht der „heilige“ Basilikum, harhar. Wir hatten also sehr gutes Essen, trotzdem weiß ich nicht, ob ich nochmal hingehen wollte oder mir das ganze Drumherum doch zu sehr auf den Keks gehen würde. (Wen das nicht stört: Schon eine Empfehlung, Karte und Essen sind echt sehr gut.)
Nach diesem zweiten Frühstück gingen wir ein bisschen weiter durch die Gassen in Richtung Mirabellplatz, aber nicht lang: Es schneite wieder, es war kalt, die Läden waren alle ein bisschen doof (natürlich eigentlich nicht, aber wenn man sowieso unzufrieden ist…) also gingen wir am Ende ins Backwerk, obwohl ich ja kein Fan dieser Bäckerketten bin, aber egal: Es war warm, sie hatten eine saubere Toilette, und es gab ein ordentliches und gut markiertes veganes Angebot. Und weil wir schon da waren, nahmen wir uns ein frühes Mittagessen (Brezel, Spinatbörek und Kartoffelbörek). Danach wurde die Laune besser, und ENDLICH fand ich auch eine gute Buchhandlung, schön groß und mit super Auswahl, direkt am Mirabellplatz (warum war mir die die letzten Tage nicht aufgefallen). Dort hielten wir uns noch eine gute Stunde auf (natürlich kaufte ich noch zwei Bücher), bevor wir zurück zum Bahnhof gingen.
Etwas Zeit totschlagen am Bahnhof, wir tranken bei einem Bäcker dort noch Tee, und schließlich stiegen wir um kurz vor zwei in den Eurocity und fuhren wieder heim. Schöne Zeit in Salzburg, und auch schön, wieder heimzufahren.
Der Zug war wieder recht voll, aber nicht überfüllt – nach dem Streiktag am Montag hatte ich die Befürchtung gehabt, dass der Dienstagszug jetzt alle Montagsgäste auch aufnehmen müsste. War aber wohl nicht so, ich konnte in Ruhe lesen (dazu gleich mehr) und Podcast hören, der Liebste schlief ein bisschen, irgendwann Brötchen zum Vesper… alles prima. Und superpünktlich war er auch (muss man einfach auch mal erwähnen), wir bekamen in Stuttgart problemlos unseren Anschluss und waren um kurz nach sieben wieder daheim. Hihi.
Daheim Taschen auspacken, Kater begrüßen (der uns aus dem Wohnzimmer entgegen kam, unsere tolle Katze), ich machte uns ein paar schnelle Nudeln mit Tomatensoße, und dann schauten wir noch eine Folge Doctor und fielen ins Bett.
Lesen: Ich hatte es tatsächlich geschafft, auf der Hinfahrt ein neues Buch anzufangen und auf der Rückfahrt (anderthalb Stunden vor Ankunft) damit fertig zu sein, was für ein gutes Timing. Und was für ein tolles Buch: Girl, Woman, Other von Bernardine Evaristo (Booker Prize 2019, wieder eine meiner Sabbatical-Entdeckungen, ich hänge in meinen ganzen Buch-Ideen ein paar Jahre zurück – da hatte ich aber halt auch so viel Zeit zum Bücherschmökern). Ich hatte anfangs etwas die Sorge gehabt, dass es mir zu sehr „literarisch“ und High Brow und anstrengend werden würde (das Buch kommt unter anderem komplett ohne Punkte aus), aber es zog mich innerhalb von 20 Seiten in die Geschichte. Die Handlung ist schwer zu erklären: Es sind die Lebensgeschichten von 12 Frauen bzw. Nonbinären in Großbritannien, alle mit einem in irgendeiner Art marginalisierten Hintergrund: Schwarz, queer, oder einfach natürlich Frau, und damit mit ähnlichen oder auch ganz unterschiedlichen Erfahrungen, in mehreren Generationen erzählt. Die Geschichten berühren sich, ohne gleich zu sein, sie sind miteinander verwoben, es gibt Berührungspunkte, mal mehr, mal weniger, und es wird sehr deutlich, was damit gemeint ist, dass Sexismus und vor allem Rassismus strukturelle Probleme sind. Und wenn irgendjemand das Konzept des intersektionalen Feminismus nicht verstanden hat: Das Buch macht es ganz wunderbar klar, ohne es zu erklären – man liest die Lebensgeschichten dieser Frauen und lebt ein bisschen mit und der Horizont erweitert sich. Mir ging es zumindest so, deshalb eine ganz große Bereicherung. Und große Leseempfehlung.