Aufgewacht gegen drei Uhr, draußen war es noch dunkel. Ich wälzte mich hin und her und konnte keine richtige Ruhe mehr finden. Schließlich begann es zu dämmern und die Vögel zu singen und ich beschloss, dass es jetzt doch mehr oder weniger „Morgen“ wäre und Aufstehen deshalb schon okay. Da war es dann, wie ich unten sah, leider erst halb fünf. Aber ich war wach und der Kater rannte auch gleich um mich herum, ich fütterte also das miauende Tier (das werde ich irgendwann bereuen), machte mir einen Tee und beschäftigte mich mit Schreiben.
Ich hatte Brückentags-Urlaub, der Liebste hatte seinen aber leider wieder rausnehmen müssen (irgendwelche superwichtigen Termine), deshalb war er den Tag über am Schreibtisch (immerhin daheim). Wir machten zum Frühstück Baked Beans on Toast und gingen dann gleich duschen, und damit hatte ich den ganzen Tag vor mir und ein immer noch halb volles Arbeitszimmer. Ich machte mir also einen Tee, startete das Coronavirus-Update vom Dienstag und blätterte und sortierte mich die nächsten Stunden durch Fotos, Dokumente, Briefe, Unterlagen.
Vieles davon war immer noch von meinem vor Jahrzehnten gestorbenen Bruder, also Dinge, die meine Mutter von meinem Bruder aufbewahrt und abgeheftet hatte. Das fühlte sich seltsam an, weil mir die Sachen gleichzeitig merkwürdig vertraut, sehr weit weg und teilweise auch komplett neu waren. Ich war ja noch ein Kind gewesen, als er gestorben war, und viele Sachen wie z.B. Texte von ihm hatte ich noch nie gesehen, kannte sie teilweise nur aus Erzählungen. (Er war ein echter Vielschreiber gewesen und hatte stapelweise Notizbücher und Blätter mit Gedanken, Gedichten, Texten vollgeschrieben.) Neben den persönlichen Berührungspunkten gab es viele typische Elemente der Achtziger Jahre, natürlich die Kleider und Frisuren auf den Fotos, aber auch die Themen (Kommunisten, die „Dritte Welt“ und vor allem „die Atombombe“ spielten alle eine Rolle). Außerdem viele, viele christliche Bezüge (er war in verschiedenen christlichen Gruppen gewesen – mit ganz eigener Sprache und eigenen Denkwelten).
Gegen halb eins machte ich eine Pause und tauchte aus den Staubwolken wieder in der Jetztzeit auf. Wir machten die zweite Hälfte der Spargelquiche warm, dazu ein grüner Salat mit einem wundervollen Erdnuss-Dressing, danach Espresso und Schokolade. Eigentlich hatte ich erwartet, danach dann dringend einen Mittagsschlaf und etwas Sofazeit zu brauchen, nachdem ich so früh aufgestanden war, aber ich war unruhig und wollte weiterräumen. Ich hatte das Gefühl, tatsächlich durch etwas durchzukommen, was ich seit Monaten vor mir hergeschoben hatte, und wollte diesen Schwung gern beibehalten. Der Liebste versorgte mich mit Tee, ich startete den aktuellen Lage-Podcast und machte weiter.
Als nächstes also Dinge von meiner Mutter. Das war etwas einfacher zu sortieren, da ich da schon vor einiger Zeit ziemlich gründlich durchgegangen war und aussortiert hatte – das Meiste blieb da, nur vier Ordner musste ich durchsehen und entscheiden. Meine Mutter war ziemlich sammelwütig gewesen, hatte ihre Sachen aber zu einem großen Teil recht gut sortiert, sodass schnell zu sehen war, was ich behalten wollte und was nicht. Einige Bilder gab es doppelt und dreifach (auch das sehr typisch für meine Mutter, mehrere Abzüge von Bildern zu machen), hier konnte ich noch ausdünnen.
Am Ende blieben noch etwa zwölf Fotoalben, eine größere Schachtel und zwei Kisten übrig. Da ich am Vortag schon im Wandschrank umgeräumt und aussortiert hatte, war das obere Fach des Wandschranks jetzt komplett leer: Dort räumte ich die Sachen hin.
Ich war natürlich stolz auf mich, aber so richtig fertig fühlte sich das noch nicht an, denn im Arbeitszimmer lagen noch etliche Stapel von mir – ältere Arbeitsunterlagen vor allem. Ich nahm mir fünf Ordner vor, die ich schon mal zum Durchsehen zur Seite gestellt hatte, und sortierte großzügig aus (das Allermeiste davon fürs Altpapier).
Der Nachmittag war schon ziemlich fortgeschritten und ich spürte meinen Rücken und meine Knie. Dankenswerterweise fand trotz Brückentag der Yogakurs statt, ich unterbrach also das Räumen und ging für eine Stunde mit Laptop ins Schlafzimmer auf die Matte. Sehr gut.
Nach dem Yogakurs hatte ich noch einen letzten Ordner übrig. Der Liebste war mittlerweile mit der Arbeit fertig, schaute bei mir vorbei und begann, die Stapel an Altpapier, leeren Ordnern und Gedöns zu verpacken und runterzutragen. Um halb acht war ich komplett fertig. Naja: „Komplett.“ Mit dem, was ich mir vorgenommen hatte und was an den zwei Tagen zu machen war. Natürlich müsste ich eigentlich noch weiter durchs Arbeitszimmer gehen und vor allem auch mal Unterrichtsmaterialien aussortieren. Aber für jetzt war ich fertig und doch sehr zufrieden.
Eigentlich hatten wir fürs Abendessen Tofu und Shiitake mit Reis geplant, aber ich hätte frische Pilze holen müssen, wollte aber nicht einkaufen gehen, und außerdem hatten wir beide keine Lust auf kochen. Wir riefen also beim Chinesen ums Eck an und holten uns zwei Portionen. Davon aßen wir jeweils die Hälfte (ich bin immer wieder fasziniert davon, dass wir diese Portionen früher komplett gegessen haben), dazu nahmen wir uns ein Belohnungsbier und eine kleine Tüte Linsenchips zu einer alten Feuerwehrfolge und dann einer Folge TNG. Nun ja. Nichts gegen Linsenchips, sie waren okay und kamen, was ein großer Vorteil ist, in einer kleinen Verpackung, sodass man zu zweit die ganze Packung futtern kann und trotzdem nicht sooo viel gegessen hat. Aber ganz ehrlich finde ich, dass man am Konzept „Kartoffelchips“ eigentlich kaum etwas verbessern kann.