Um kurz vor halb sieben zu leichtem Gewitter aufgewacht – ein bisschen Donner, leicht prasselnder Regen, wolkenverhangener Himmel. (Auf der Dachantenne des Nachbarhauses saß der Falke dramatisch vor grauen Wolkenfetzen. Oder es kann auch die Türkentaube gewesen sein, der Vogel war weit weg.) Ich war etwas irritiert, dass ich so gar nicht länger schlafen konnte, aber ich war wach, also ließ ich den Liebsten in Ruhe und ging nach unten zu Tee, Katzenfütterung und einer Stunde Zeit allein. Was ja auch etwas für sich hat. Allein mit dem Internet in diesem Fall.
Ein Morgen mit Müsli und Tee, danach zog ich mich zum Lesen zurück – ich hatte den Plan, auf jeden Fall mein am Montag begonnenes Buch fertig zu bekommen – und der Liebste begann auf der Dachterrasse mit der Bastelei an der PV-Anlage, das Morgengewitter hatte sich verzogen. So nach anderthalb Stunden ging ich schließlich nach oben und schaute nach, ob ich ihm etwas helfen könnte – nicht fürchterlich viel, aber ich hielt ein paar Sachen und schraubte ein paar Sachen und so, und nebenher entfernte ich das erste wieder sprießende Unkraut aus den Ritzen und goss die Echinacea. Und am Ende hatten wir ein wettergeschütztes Kabelrohr von den PV-Modulen am Balkon bis zur Hauswand.
Ungefähr zu dem Zeitpunkt wurde der Himmel wieder dunkel, Nina begann uns Warnungen zu schicken und wir hörten leichtes Grummeln in der Ferne, also gingen wir ins Haus. Schnelle Dusche, dann das Curry vom Abend mit ein bisschen frisch gekochtem Reis, eine Tasse Kaffee und eine kleine Mittagspause.
Als das Gewitter vorbei war (es hatte ein paar Kilometer entfernt abgeregnet, uns hatten nur wenige Tropfen erreicht), gingen der Liebste und ich erst schnell in den Supermarkt nebenan (alkoholfreies Bier holen) und dann aufs Schattendeck, bewaffnet mit Buch und Wasserglas. Die zwei Kater gesellten sich zu uns, und wir hatten einen schönen Nachmittag: Zeit für uns, gutes Wetter, angenehme Temperaturen (heiß, aber auf dem Schattendeck aushaltbar) und überhaupt ein richtiges Urlaubsgefühl. Sehr entspannend. Und am Ende hatte ich sogar mein Buch durchgelesen.
Das Buch: Lebenskompliz:innen von Nils Pickert (im Buch wird überall das Genderzeichen durch ein kleines hochgestelltes Herzchen ersetzt, haha, funktioniert aber als Markierung für den Glottisverschlusslaut erstaunlich gut). Nils Pickert kannte ich in erster Linie durch die Kampagne Pink Stinks, die gegen Rollenklischees in Werbung und Konsumartikel kämpft (extra Überraschungseier „nur für Mädchen“ und so Quatsch). Er hat außerdem ein Buch über die negativen Auswirkungen der Rollenzuschreibungen bei Jungen geschrieben (Prinzessinnenjungs).
In seinem zweiten Buch geht es um gleichberechtigte Liebesbeziehungen (um genau zu sein monogame, auf Dauer angelegte heteronormative Liebesbeziehungen, mit Absicht, weil das das gesellschaftlich vorgespiegelte „Ideal“ ist, an dem sich alle anderen Beziehungsformen immer noch messen lassen müssen). Pickert räumt gründlich mit dem Zerrbild der romantischen Liebe auf und zeigt, wie unmöglich es eigentlich ist, unter den gesellschaftlichen Bedingungen von patriarchalischen Verhältnissen und Primat des Kapitalismus Beziehungen zu führen, bei denen nicht irgendwann eine:r oder beide auf der Strecke bleiben. Und wenn man es dennoch versuchen möchte (er tut es auch), gegen die Umstände und gegen den Strom, dann nur mit der Prämisse der radikalen Gleichberechtigung: der Akzeptanz der absoluten Gleichwertigkeit von Bedürfnissen bei gleichzeitiger Unterschiedlichkeit dieser Bedürfnisse. Und auf einer Grundlage des Wohlwollens, der Grundannahme, dass die/der Andere mich nicht grundsätzlich in die Pfanne hauen möchte, mir nicht grundsätzlich Schlechtes wünscht.
Insgesamt ein Buch mit einer Menge Ideen und Erkenntnisse, wenn auch teilweise im Allgemeinen bleibend (was allerdings der gleich anfangs erklärten Basis geschuldet ist, dass keine zwei Beziehungen gleich sind und man es mit allgemeingültigen „praktischen Tipps“ und „Beziehungsratgebern“ erst gar nicht zu versuchen braucht). Etwas anstrengend das teilweise übertriebene Auswalzen von Metaphern (ein Beispiel: Beziehungen werden als gemeinsames Brückenschlagen bezeichnet, so weit so gut, aber wenn es dann eine Seite lang um Brückenbelastbarkeit und Wegezoll für die Brücke und abgebrochene Brücken und bla geht, dann ist es irgendwann too much). Von dieser Kritik mal abgesehen aber ein Buch, das mich zum Nachdenken brachte und das ich mit Gewinn gelesen habe. So weit, dass ich sogar irgendwann einen Textmarker holte und ein paar Stellen anstrich wie in der Uni.
Um sechs machten wir uns ans Abendessen: Erst einmal, sozusagen als Vorspeise, eine große Schüssel Blattsalat. Dann kurze Essensunterbrechung, wir gingen in den Alnatura und holten ein paar frische Erdbeeren und zwei Packungen Chips (für später), und da wir schon dabei waren, noch ein paar andere Kleinigkeiten, Quark, Tofu, Zeugs. Und daheim dann der Hauptgang sozusagen, eine Portion Spaghetti mit Pesto. Wir wollten ein schnelles Abendessen, eine gute Grundlage für den Abend und das Pesto war sowieso offen. Passte also.
Wir hatten für den Abend nämlich Pläne: Der Weinhändler unseres Vertrauens (da, wo ich die Kundenkarte hatte) hatte an dem Abend „Open Wine House“. Nach dem normalen Ladenschluss wurde geöffnet und man konnte dort sitzen (es gab Tische drinnen und draußen) und fünf verschiedene Weine probieren. Die ausgesuchten Weine waren etwas exklusiver in der Preiskategorie zwischen 15 und 25 Euro, und für 3,- pro (kleinem) Glas war es preislich völlig im Rahmen.
Den Abend über saßen der Liebste und ich also im Freien unter einer Markise (es begann irgendwann wieder zu regnen, aber es war warm und wir blieben trocken) und probierten uns durch fünf verschiedene Weine (oder vier in meinem Fall, ich hatte zwar fünf Gläser, aber ich blieb beim Weißwein, von dem ich einen doppelt nahm, und ließ den Rotwein dafür weg). Ein erstaunlich guter Württemberger (ich weiß, ich kann es kaum glauben, während ich es schreibe) und ein schön frischer Weißwein aus dem Luberon, ein eher lahmer weißer Bordeaux und ein merkwürdiger Rosé, ein ungeklärter „Naturwein“, der dementsprechend trüb daherkam und eher an eine Art herben Traubenmost erinnerte. Mein Favorit war der Luberon, der Liebste war von dem Rotwein sehr angetan, und insgesamt war das alles prima. Ich ging um kurz nach acht noch einmal schnell zum Supermarkt schräg gegenüber und holte dort ein Wurzelbrot, damit wir zum Wein noch so eine kleine Grundlage hatten, trotz Spaghetti eine gute Idee. Und damit und einer Karaffe Wasser saßen wir dann bis zehn und hatten so ein richtiges Urlaubs-Entspannungsgefühl.