Stabil im Protest, Samstag 19.7.2025

Wenig überraschend ordentlich müde, als am Morgen der Wecker um acht klingelte. Stand aber trotzdem auf, um Harold den Weg freizuräumen, weil er um Viertel nach acht eifrig lossaugte – eine Uhrzeit, bei der ich am Samstag normalerweise längst wach und schon beim zweiten Tee bin.
Nun ja. Normalerweise hätte ich es mir auch mit saugendem Harold einfach noch einmal im Bett gemütlich gemacht, aber ich hatte einen Termin am Vormittag. Also Tee, duschen, Zeugs zusammenpacken, einen Blick in die Zeitung und mich traf fast der Schlag. Warum: Ich bin ja Teil der Tübinger Gruppe des „Bündnis für Demokratie und Menschenrechte“, und dieses Bündnis hatte für den Samstag eine Demo angekündigt und geplant. Und zwar weil die AfD, das erste Mal seit vielen Jahren wieder, in der Stadt einen Infostand machen wollte, unter dem widerwärtigen Motto „schwarz-rot-gold ist bunt genug“. Wir also alles mobilisiert, Gegendemo angemeldet, Flyer mit „Wir lassen uns unsere Farben nicht nehmen“ rumgeschickt, in der Gegend herum-aktiviert, und ich hatte mich für die Demo als Ordnerin zur Verfügung gestellt. Und was erfuhr ich beim Blick in die Zeitung? Unser UNFASSBAR (hier vermutlich justiziables Wort zur Beschreibung charakterlicher Niederträchtigkeit einfügen) OB hatte die AfD gebeten, den Stand abzusagen, denn „die Gegendemonstrationen könnten den Handel beim SSV stören“. Was zur Hölle. Klingt doch erst einmal ganz gut? Ist aber beschissen, denn der Deal, den der OB dafür mit den Blaunazis geschlossen hatte, war, dass sie dafür im September mit ihm gemeinsam (…also „gegen“ ihn, lol) eine Podiumsdiskussion bestreiten dürfen, in einer Halle, wo die Gegendemonstranten ja dann draußen sind. What the actual fuck. Ich möchte schon wieder Feuer speien.
Wenn ich im Signal-Chat gewesen wäre oder meine Teams-Nachrichten am Freitag noch gelesen hätte, hätte ich es sogar schon früher gewusst, aber egal. Ich bekam auch so früh genug mit, dass der AfD-Stand also (zugunsten einer kompletten HALLE ohne DOOFE ANTIFA-HEINIS und mit einer ECHTEN Podiumsdiskussion, hurra, wie viel Aufmerksamkeit möchte man ihnen noch geben) abgesagt war, die Kundgebung (-en, es waren zwei angekündigt) aber trotzdem stattfinden sollten. Damit auch meine Ordnertätigkeit.

Um kurz vor halb zehn ging ich also los, mit kurzem Stopp beim Bäcker für ein schnelles Frühstück auf die Hand. Vor Ort ließ ich mich einweisen und bekam eine Ordnerbinde, knotete noch ein paar Schnüre an Luftballons und bekam eine Regenbogengirlande umgehängt, und dann ging es also los.
In Anbetracht der Tatsache, dass es ja jetzt keine richtige „Gegen“-Demo war, war das Ganze wenig überraschend sehr friedlich. Es waren insgesamt so ungefähr 1000 Leute gekommen, wenn man beide Kundgebungen, unsere und die zweite (etwas „linkere“ und eher Antifa-orientierte) zusammenzählt. Die Polizei sprach später von einer Teilnehmerzahl „im niedrigen dreistelligen Bereich“, aber das war sicher Quatsch. Ich fand es auf jeden Fall prima, dass doch einige da waren trotz abgesagtem Anlass („wir kommen ohne Anlass, aber nicht ohne Grund“ wurde gleich am Anfang verkündet). Gute Musik (bis auf die letzte Band, nun ja), sehr gute Reden, und natürlich, kein Wunder, wenn man in dementsprechenden Kreisen in der Kleinstadt unterwegs ist, kannte ich zahlreiche Leute. Einige Kolleg:innen natürlich, ein paar Nachbar:innen, und sonst eben die „üblichen Verdächtigen“ aus Stadtpolitik und sonstigen Gruppierungen. Man will nicht glauben, dass der OB hier 50% der Stimmen bekommen hat. (Hat er auch nicht: In der Stadt hätte er verloren, er hat die Wahl nur wegen der umliegenden Dörfer gewonnen.)

Der Liebste war natürlich auch da. Um zwölf war die ganze Geschichte vorbei, und da wir sowieso schon mal in der Stadt waren, gingen wir dann noch in die Altstadt zum Vaude-Laden, um für mich nach einem neuen Arbeitsrucksack zu schauen. Eine knappe Stunde herumgesucht, ausprobiert, überlegt, dann kamen wir wieder heraus mit: einem neuen Arbeitsrucksack für mich in wunderschönem Hellblau und mit sehr schlauen Taschen (geplant), einem neuen ozeanblauen Shirt für mich (ungeplant, reduziert), einem neuen azurblauen Sommerkleid für mich (ungeplant, SO SCHÖN!), einem neuen Fahrrad-Arbeitsrucksack für den Liebsten (ungeplant, aber so praktisch, dass ich den eventuell auch mal ausleihen werde), einem neuen Fahrradshirt für den Liebsten (ungeplant und definitiv keine Fahrradhose, die er eigentlich gebraucht hätte, aber… oh well – es war reduziert). Zusammen mit den Trekkingschuhen vom Vortag haben wir jetzt mal so RICHTIG viel Geld an diesem Wochenende liegen lassen. Wird sich hoffentlich alles bewähren. Auf jeden Fall richtig schönes Zeug.

Daheim dann erst einmal ausgedehnte Pause mit restlicher Linsensuppe und einer kleinen Siesta. Ich machte ein bisschen die Augen zu, fing dann ein neues Buch an. Später dann noch der Wocheneinkauf, einmal Alnatura, einmal Supermarkt ums Eck, damit war der Kühlschrank wieder mehr als voll. Den restlichen Nachmittag lesen, ausruhen. Draußen war es warm, deshalb wenig Interesse an der Außenwelt.

Um halb acht rafften wir uns dann doch noch einmal auf und gingen zum Asian Fusion Restaurant im Nachbarviertel (sozusagen die am Freitag ausgefallene Date Night nachholen). Mittlerweile war es etwas kühler geworden und man konnte nett draußen sitzen. Eine Schale Edamame, einen Teller Udon mit extra Tofu und eine Kanne Jasmintee später waren wir beide gut satt und gingen zufrieden heim.
Dort setzten wir uns erst einmal mit einem Limetten-Tonic auf den Balkon und schauten ein bisschen ins Grüne. Und dann setzen wir etwas in die Tat um, was ich mir schon seit Wochen vorgenommen hatte: Wir machten den Whisky auf, den ich letztes Jahr zu meinem Fünfzigsten von meinem Bruder geschenkt bekommen hatte. The Balvenie Carribean Cask, ein vierzehnjähriger Single Malt, der mich mit seinem weichen Duft und seinem Geschmack nach Trockenfrüchten, Vanille und Karamell, seinem langen Nachhall und seiner unangestrengten Komplexität wirklich vom Hocker haute. Sehr, sehr schöner Whisky. Als zweiten Whisky blieben wir beim Rum-Finish und nahmen einen Fingerbreit Smokehead Rum Rebel, der ging mit seinem angenehmen Torf gut hinterher.

Damit wäre der Abend eigentlich schon prima abgeschlossen gewesen, aber natürlich machten wir dann noch den Fernseher an und schauten das Viertelfinalspiel Deutschland-Frankreich. Das Drama der ersten 20 Minuten hatten wir zwar verpasst (sie waren schon zu zehnt, als wir einschalteten), aber es gab wahrlich noch genug Spannung bis hin zum spektakulären Elfmeterschießen. Tolle Mannschaft, tolles Spiel. Da werden wir fürs Halbfinale am Mittwoch wohl auch die Zeit finden.