Abends in der Stadt – Freitag 21.5.2021

Die Nacht war (mal wieder) zu früh vorbei. Der Liebste stand nachts auf, weil er nicht mehr schlafen konnte, dadurch wurde ich auch wach und schlief nicht mehr richtig ein. Der Wecker am Morgen war ausgesprochen unwillkommen.
Wieder ein Prüfungstag, also kein langes Gedöns am Morgen. Der Liebste ging schnell zum Bäcker für Brötchen und ein frisches Brot, ich aß mein Frühstück auf dem Weg (Vollkornbrötchen mit Aufstrich und Laugencroissant) und war ab acht im Büro.

Mein Arbeitstag war vollgepackt, da meine Kollegin und ich uns zwar in der Aufsicht abwechselten, aber wir beide auch parallel Einzelunterricht hatten (und sie mittags heimging), ich war also entweder in der Aufsicht oder im Unterricht. Sogar das Mittagessen (zweite Portion Quinoasalat, sehr gut) nahm ich vor den Bildschirm mit. Mittags bekam ich noch eine E-Mail von der Yogatrainerin, dass der Kurs heute ausfällt: Das war zwar schade, aber mir trotzdem nicht unrecht, weil ich bis zum Kurs wahrscheinlich nicht fertig geworden wäre. So arbeitete ich bis sechs Uhr und war dann mehr oder weniger fertig. (Nicht komplett mit allem, aber um sechs dachte ich: Was ich jetzt noch mache, wird sowieso vor Pfingsten von niemandem mehr bearbeitet.)

Daheim war der Liebste in einer komischen Stimmung, sehr angespannt und unkonzentriert und nicht wirklich zu viel zu gebrauchen. Ich kümmerte mich ums Abendessen (wir hatten noch etwas Caponatasauce im Kühlschrank, ich kochte ein paar Nudeln dazu), dazu mal kein TNG, ich hatte keine Lust auf eine fiktive Serie. Stattdessen sahen wir ein paar mehr oder weniger tiefgründige YouTube-Videos (eher weniger, um ehrlich zu sein) und gingen dann um Viertel nach acht aus dem Haus: Denn der Liebste hatte seinen Impftermin.

Ich hatte ja von meinem Arbeitgeber eine Bescheinigung für meine Zugehörigkeit zur Priogruppe 3 bekommen und nahm sie mal mit (wie auch meinen Impfpass), in der vagen Hoffnung, dass es noch „übrigen Impfstoff“ gibt (auch wenn mir schon klar war, dass das wohl nicht passiert). Tatsächlich gab es übrigen Impfstoff, aber auch diese Reste waren schon verteilt, deshalb kam der Liebste ja überhaupt an seine Impfung: Er hatte nämlich einen late-night-Impftermin, bei dem Mitarbeiter von Klinikum und DRK die Dosen bekommen, die tagsüber nicht verimpft werden konnten. Dafür hatte er vom Klinikum vorab eine Mail bekommen und sich einen Slot reservieren müssen – auch der Rest war also sozusagen schon vergeben.

Als Begleitperson durfte ich leider nicht mit (nur mit spezifischer Begründung werden Begleitpersonen zugelassen), also wartete ich draußen, während es langsam dunkel wurde und ein leichter Nieselregen einsetzte. Die „normalen“ Impftermine waren bis kurz vor neun gebucht (der Liebste hatte seinen Termin um neun), ich sah also zu, wie der letzte Schwung geimpfter Leute rauskam, dann einige Mitarbeiter des Impfzentrums (darunter ein paar Soldaten), und dann ein ganzer Schwung neuer Mitarbeiter, die sich alle mit Mitarbeiterausweis und Schlüsselchip auswiesen, deren Funktion mir aber unklar war, wieso braucht das Impfzentrum nachts so viele Leute? Teilweise war es offensichtlich Security, bei anderen konnte ich nur spekulieren. Übrigens, Security: Selten so ausgesprochen nette und hilfsbereite Security-Leute erlebt.

Um zwanzig vor zehn war der Liebste wieder da. Erstaunlicherweise hatte er nicht die 15 Minuten Wartezeit nach der Impfung dableiben müssen, sondern konnte nach fünf Minuten schon gehen. Die vierzig Minuten waren größtenteils vor der Impfung draufgegangen: Erst für ein kleines Erklärfilmchen, dann für die Bürokratie (Patientendaten erfassen – übrigens hatte der Liebste extra auf impfen-bw seine Daten eingegeben und einen QR-Code generiert, aber im Impfzentrum winkte man müde ab: Hilft gar nix, man muss trotzdem alles von Hand eingeben und außerdem ausdrucken, Digitalisierungsstand in Deutschland), dann das Aufklärungsgespräch und die eigentliche Impfung.

Die Impfärztin arbeitet eigentlich als Hausärztin im Nachbarstädtchen, in dem der Liebste lang gewohnt hat, und sie kannte den ehemaligen Hausarzt, der im Impfpass des Liebsten die letzten Eintragungen gemacht hatte. „Der war bis vor fünf Minuten noch hier“, sagte sie: Der Hausarzt meines Liebsten impfte auch im Impfzentrum. Nett und ehrenwert und blablabla, aber sollten die Hausärzte nicht besser ihre Patienten in der hausärztlichen Praxis impfen…? Oder macht er das zusätzlich? Auf jeden Fall bekommt er im Impfzentrum mehr Geld, aber ich will ihm ja keine niederen Motive unterstellen. Es ist nur so, dass durch die katastrophale Fehlentscheidung, die Impfpriorisierung bei den Hausärzten aufzuheben, die hausärztliche Versorgung momentan mehr oder weniger zusammengebrochen ist. Und zwar nicht nur was Impftermine angeht, sondern generell. Man hat überhaupt keine Chance, telefonisch irgendwen zu erreichen (und die meisten Hausärzte sind nur telefonisch erreichbar, meiner auch). Das ist normalerweise schon schwer, jetzt unmöglich – würde ich jetzt krank werden und bräuchte einen gelben Schein (oder tatsächlich medizinische Hilfe), hätte ich außer der 112 keine Möglichkeit (die 116 117 ist ja auch blockiert). Deshalb sollten die Hausärzte die Impfzentren möglichst ergänzen und nicht selbst im Impfzentrum impfen, würde ich sagen. Aber was weiß ich schon. Außer dass ich wohl vor August nicht geimpft werde (wenn es gut läuft).

Eine Frage, die wir beide hatten, wurde immerhin geklärt: Wie wird die vorausgegangene Covid-Erkrankung behandelt? Ich hatte mich ja letztes Jahr beim Liebsten angesteckt (der das Virus aus dem Büro mitgebracht hatte), es betrifft uns also beide. Kurz gefasst: Die Infektion gilt wie eine Erstimpfung, mit der Impfung gestern (Moderna, übrigens) ist der Liebste jetzt also komplett geimpft. Er muss beim Hausarzt „innerhalb der nächsten zwei Wochen“ (LOL, das klappt nie) die Infektion als Nachweis in seinen Impfpass eintragen lassen. Das ist nicht nur medizinisch, sondern auch juristisch relevant, weil für ihn dann Beschränkungen wegfallen. Bei Leuten mit vorausgegangener Infektion ist im Übrigen eine heftigere Impfreaktion zu erwarten, der Liebste wird also vermutlich die nächsten Tage mit Fieber flachliegen (Yay, Pfingsten). Falls nicht, dann müsste man über einen zweiten Impftermin nachdenken (das Fieber wäre das Zeichen, dass der Immunschutz vollständig aufgebaut wurde).

Wieder daheim konnten wir beide erst einmal nicht ins Bett. Ich gönnte mir einen Williams (der Liebste durfte nicht) und wir schauten amerikanischen Eichhörnchen beim Walnuss-Einbruch zu (hier der erste Teil vom letzten Jahr). Ich hatte massiv schlechte Laune: Irgendwie habe ich das Gefühl, dass alle um mich rum in den letzten zwei Wochen es geschafft haben, sich Impftermine zu organisieren. Nur ich war nett und wollte mich nicht beim Hausarzt auf eine Liste setzen lassen und auch im Impfzentrum nicht nerven, da meine Priogruppe noch nicht dran war – und plötzlich ist alles aufgehoben, auf einen Schlag alle Termine weg und keine Chance mehr, irgendetwas zu bekommen, obwohl ich beruflich gezwungen ständig Menschenkontakt habe (im Gegensatz zu Kolleg:innen, die ausschließlich im Home Office sind). Das empfinde ich als massive Ungerechtigkeit. Außerdem: Wie haben die ihre Impftermine überhaupt bekommen? Es gibt schlicht und einfach keine mehr (ich schaue seit über einer Woche ständig im Portal nach). Da überkommt mich das dumpfe Gefühl, dass ich mich, weil ich mich an den „offiziellen“ Weg halte und keine Schleichwege kenne oder Beziehungen habe, jetzt wie der Idiot dastehe.
Ich freue mich sehr für den Liebsten, dass er jetzt geimpft ist (eine Sorge weniger), aber… ich werde so langsam mit der Politik hier im Land so richtig ungeduldig. Und ich meine so richtig, richtig.