Heiligabend – Freitag 24.12.2021

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Um zwanzig vor sechs aufgewacht: Ich sinnierte noch etwas darüber nach, wie unangenehm ich es am Winter fand, aufzuwachen und mich eigentlich wach zu fühlen, aber keinen Indikator dafür zu bekommen, ob es schon „Morgen“ und Zeit zum Aufstehen war: Sehr dunkel, sehr kalt, und die Bundesstraße kann man bei geschlossenem Fenster auch nicht hören (nicht dass ich das vermissen würde). Noch nicht einmal der Lichtwecker würde in diesem Fall etwas bringen, denn: erster Urlaubstag, also kein Wecker. Ich stand trotzdem auf und fütterte erst einmal den Kater, der Futter eine halbe Stunde früher voll ok fand. Draußen war natürlich noch alles dunkel, erst eine Viertelstunde später folgte die Nachbarin schräg gegenüber, die auch immer sehr früh aufsteht. Die Schulen sind endlich in den Ferien, seit heute haben alle quasi (die können) Urlaub, es fühlt sich sehr nach Sonntag an. Und im Kopf die kleine Stimme: Heute ist Weihnachten, Weihnachten, Weihnachten… (die hat irgendwann so mit 2 Jahren angefangen und wacht jedes Jahr wieder auf.)

Zum Frühstück toasteten wir das Brot, dazu viel Tee. Ich hatte meine letzten Adventskalender-Teebeutel. Die werde ich aber eher nicht mehr kaufen: Jeden Morgen so komische Sorten wie „Früchte-Apfel-Zauber“ und „Fenchel-Anis-Kümmel“ zum Frühstück, das Ganze fühlte sich eher wie eine Kräutertrinkkur an als wie etwas Schönes zur Weihnachtszeit. Die beiden Teesorten für Heiligabend (sollte meiner Meinung nach ein besonderer Tee sein): „Dreierlei Minze“ und „Früchtepunsch“. Was zum Henker.

Wie auch immer, nach dem Frühstück eine ausführliche Dusche, die anderen Adventskalender wurden geöffnet (Weihnachtssocken!), dann die dicke Weihnachts-Zeitungsausgabe mit drei (!) Rätselseiten (die Zustellerin wie auch der Briefträger haben ihre Weihnachtskarten übrigens gefunden und mitgenommen, die Zustellerin hatte sogar einen Zettel mit „Danke schön“ in der Zeitung gelassen), und um Viertel vor zehn machten wir uns auf den Weg zum Auto und in die Nachbarstadt: Endlich, endlich wieder auf den Friedhof. (Übrigens sehr schöner Zufall: Kaum hatte ich dem Liebsten geklagt, dass wir dringend bei den Nachbarn fragen müssen, ob sie für den Kater da sind, wenn wir für ein paar Tage wegfahren, und dass wir aber jetzt an Weihnachten ja wohl kaum stören können, da kam uns besagter Nachbar mit dem Hund entgegen. Kurz gefasst: Sie sind da, sie schauen nach dem Kater, und im Gegenzug sind wir im Januar für die Nachbarsmaus da, wenn sie ins Allgäu fahren – falls man da noch darf. War sehr froh, dass das so unkompliziert abzusprechen war.)

Ziemlich trübseliges Wetter, es nieselte, als wir losgingen, und fing dann richtig zu regnen an, dazu ein paar Grad über Null. Wir waren aber recht wasserdicht eingepackt und freuten uns über die kalte, klare Luft und den Geruch nach Erde. Die Gräber waren beide mit einer dicken Schicht Blätter bedeckt und lagen im Winterschlaf. Auf beiden Gräbern war jeweils ein Gesteck und die Erika hielten auch tapfer durch, aber davon abgesehen war alles mehr oder weniger tot. Wir schnitten ordentlich Pflanzen ab, rechten die Blätter weg und verteilten dann am kahlen Ginkgobäumchen und auf der Erde kleine Weihnachtskugeln und -nikoläuse. Der Boden war so gefroren, dass man mit der Schaufel nicht mehr reinkam, ich hoffe, dass die Tulpenzwiebeln im Boden das überleben – Zweige haben wir ja jetzt keine zum Abdecken. Es ist aber auch dieses Jahr wieder so, dass fast kein anderes Grab abgedeckt ist, die meisten waren mehr oder weniger abgeräumt, von ein paar Bodendeckern, Gestecken und Schmuck abgesehen. Auf jeden Fall war ich am Ende ganz zufrieden. Im Januar schauen wir danach und sammeln die Weihnachtsdeko wieder ein.

Wir waren auf der Heimfahrt sehr zufrieden, ich fühlte mich vor allem ziemlich befreit – dass ich seit Wochen zum Friedhof hatte gehen wollen und es nie geklappt hatte, hatte mich doch mehr gestresst als gedacht. Wir hielten an einer Ampel vor einer Dorfeinfahrt an und schauten interessiert den Graureiher an, der dort ein paar Meter entfernt auf einem Acker stand. Plötzlich spannte er den Körper an, reckte den Kopf vor, fixierte einen Moment wie eingefroren und schoss dann mit seinem Schnabel zwischen das kurzgeschnittene Gras. Als er wieder auftauchte, hatte er eine Spitzmaus im Schnabel. Er klappte den Kopf nach hinten und schluckte sie in zwei Bewegungen am Stück hinunter. Ich war etwas schockiert – mir war bis jetzt nicht klar, dass auch Mäuse zum Speiseplan eines Reihers gehören (ich hatte eher mit einer Kröte oder so etwas gerechnet, nicht dass der Reihertod aus Krötensicht irgendwie „besser“ gewesen wäre als eine gefangene Maus). Das erklärte zumindest, warum der Reiher einfach auf dem Acker stand, vom kleinen Wassergraben am Straßenrand mal abgesehen war dort nämlich kein Gewässer in Sicht.

Daheim stellten wir das Auto ab und gingen dann eine kleine Runde durchs Stadtviertel zum Aldi: Wir wollten für den Kater noch etwas Katzenfutter holen und hatten vor einiger Zeit festgestellt, dass der Aldi tatsächlich Bio(!)-Katzenfutter anbietet. Außerdem hatte mich Mirellas Weihnachts-Süßkram-Video inspiriert. Im Aldi war erstaunlich wenig los, die Süßigkeiten allerdings ziemlich abgeräumt. Wir kamen mit einer Tüte Lebkuchenherzen (immerhin) und dem Katzenfutter wieder raus. Dann noch zum Viertellieblingsbäcker für ein frisches Brot und zwei Brötchen – die beiden Brötchen waren völlig sinnlos, aber es war halt kurz vor Ladenschluss, und WER WEISS WANN DIE BÄCKER WIEDER AUFMACHEN!! (…am Montag macht der Bäcker wieder auf, aber so rationale Gedanken setzen sich kurz vor Weihnachten nicht durch.)

Daheim dann Mittagessen: Zweite Hälfte Lasagne, eine Riesenportion (sehr, sehr lecker). Der anschließende Espresso verbruzzelte uns etwas auf dem Herd, weil gerade da der Schwager (Bruder des Liebsten) anrief, um sich für die Weihnachtskarte zu bedanken und sich zu beklagen, dass seine Silvesterparty kurz vor knapp abgesagt worden war (das hätte er sich ehrlich gesagt vorher denken können) und uns seine größte Sorge mitzuteilen: Dass man auch in Zukunft in der Öffentlichkeit ständig Masken tragen muss. Meine Perspektive, wie unglaublich cool es wäre, dadurch in Zukunft das Risiko von grippalen Infekten und Winter-Erkältungswellen einfach dauerhaft zu reduzieren, und was für ein harmloses Mittel mit so einem großen Effekt die Masken sind, überraschte ihn ziemlich. Scheinbar hatte er sich tatsächlich überhaupt nicht vorstellen können, dass es Menschen gibt, die das nicht so wie er als komplette Zumutung empfinden. Oh well.

Zum leicht verbrannt schmeckenden Espresso ein paar Lebkuchen, dazu aufs Sofa: Ich las ein Buch zu Ende („Das Geräusch einer Schnecke beim Essen“ von Elisabeth Bailey). Hihi. Dieses Jahr lief es ja mit Lesen insgesamt überhaupt nicht gut, mein Minimalziel, mindestens 12 Bücher in diesem Jahr zu lesen (also im Schnitt eines pro Monat), hatte ich aber Anfang der Woche schon erreicht. Zwar ein Witz im Vergleich zu den letzten Jahren, aber immerhin. Und das war jetzt sogar Buch 13, das ich ausgelesen hatte – sehr schön, jetzt kann ich dann einfach irgendein Buch anfangen und muss nicht überlegen, ob ich es bis Jahresende schaffe, denn ich bin ja quasi schon in der Planübererfüllung, ich brave Leserin.

Gegen vier gingen wir noch einmal aus dem Haus für eine längere Runde, ein Geschenk einwerfen und etwas die Beine vertreten. Es waren relativ viele Leute zu Fuß unterwegs, das Wetter war okay (der Regen hatte aufgehört und es war nicht so kalt). Als wir im Nachbarstadtteil am Rathaus vorbeikamen, stand dort – mit viel Abstand – eine große Menschengruppe: Der Bläserchor vermutlich der örtlichen Kirchengemeinde hatte sich vor dem Rathaus aufgestellt und gab ein kleines Konzert. Jetzt bin ich ja nicht so ein Fan von Weihnachts-Besinnlichkeit, aber das war schon sehr schön. Wir blieben für vier Stücke da und gingen ganz erfüllt nach Hause.

Daheim dann endlich mal ein zünftiger Heiligabend: Ich startete die Weihnachts-Playlist bei Spotify (über das Tablet, auf dem Handy hat Bluetooth irgendwie mehr oder weniger ein Eigenleben entwickelt), wir öffneten ein Weihnachtsbier und kochten gemeinsam ein klassisch-süddeutsches Heiligabend-Essen: Linsen und Spätzle. SEHR lecker. Zum Essen ein Glas spanischer Tempranillo aus Valdepeñas, ein 2012er-Jahrgang (also schon etwas alt, was aber seiner Qualität keinen Abbruch tat). Dazu wollten wir einen Weihnachtsfilm sehen, dachten kurz über Die Hard nach, ich plädierte dann doch eher für Weihnachten mit den Griswolds („Schöne Bescherung“ heißt der Film wohl in der deutschen Übersetzung). Netflix hatte allerdings von Chevy Chase nur die Urlaubs-Griswold-Folge und bot uns stattdessen „Christmas with the Kranks“ an („Verrückte Weihnachten“), ein Weihnachtsfilm von 2004 mit Jamie Lee Curtis und Tim Allen. Den Film ließen wir allerdings nach zwanzig Minuten bleiben (sehr vorhersehbar, ziemlich langweilig) und wechselten ganz einfach zur Raumstation (da ist ja gefühlt immer Weihnachten).

Wir hatten gerade gestartet, da fiel mir siedend heiß ein, dass ich noch kein Yoga gemacht hatte – und das wollte ich unbedingt. Es ist nämlich so: Am 22.12. war ich ja, da das mit dem Zoom-Kurs nicht geklappt hatte, auf Adrienes Kurs ausgewichen, und hatte bei Tag 22 mitgemacht. Und da war mir aufgefallen, dass 22.12.  – Tag 22 … wenn ich das Programm (bestehend aus 30 Tagen) in diesem Jahr noch beenden möchte (und das möchte ich schon gern, ich habe im Oktober angefangen, liebe Güte), dann muss ich ab jetzt wirklich jeden Tag mitmachen. (Da der Dezember bis zum 31. geht, habe ich einen Tag Puffer, der aber für den Tag mit Familienbesuch und Restaurant schon aufgebraucht ist.)
Ich ging also, trotz Abendessen und Rotwein und allem, 30 Minuten zu Adriene: Tag 24, Rejuvenate. Haha. Es war unglaublich anstrengend, ich fühlte mich, als wäre ich um zehn Jahre gealtert. Aber hey, durchgehalten, und danach schaute ich dann noch eine Folge Raumstation, bevor ich um neun einfach todmüde wurde und ins Bett marschierte.