Akademische Gedanken – Mittwoch 29.6.2022

Etwas unruhige Nacht, morgens kam ich einigermaßen schwer aus dem Bett. Aber: Die Anspannung der letzten Wochen begann tatsächlich abzufallen. Die letzte der Juni-Prüfungen stand an, aber wie auch am Tag davor waren wir zu zweit und alles war organisiert und überhaupt, die letzte vorerst. Und dann erst einmal wieder mit anderen Dingen beschäftigen.
Im Übrigen stand ich gar nicht sofort aus dem Bett auf, sondern machte, wie am Abend zuvor auch schon, die erste meiner drei Schulterkapsel-Übungen, weil man diese in liegender Position machen sollte. Und Jungejunge, tat das weh. Ich hoffe bloß, dass das mit den Übungen und Gedöns dann irgendwann wirklich besser wird. (Andererseits, ich habe nachgeschaut, habe ich die Armschmerzen jetzt seit elf Monaten, ich sollte also vielleicht nicht ungeduldig werden, wenn sich nach einem Tag krankengymnastischer Übungen nicht sofort eine Besserung einstellt.)

Müsli zum Frühstück, dann gingen wir gemeinsam um kurz vor acht aus dem Haus. Es war ziemlich bewölkt und sollte den Tag über durchwachsen bleiben, ich war in Jeans unterwegs und hatte mir eine Strickjacke eingepackt. (Spoiler: Das war für den halben Tag okay, dann kam natürlich die Sonne raus und die Jeans war eine eher fragwürdige Wahl.)
Bei der Arbeit war die Kollegin schon an den letzten Vorbereitungen für die Prüfung, und weil sie alles im Griff hatte und sowieso hauptverantwortlich war, mischte ich mich nicht groß ein und ließ sie machen. Das bedeutete für mich den Vormittag über: administrative Sachen, Mails beantworten, die eine oder andere kurze Besprechung mit einer Kollegin, Dinge abhaken, angenehm unaufgeregtes Alltagsgeschäft bis halb eins.

Kurze Mittagspause mit der zweiten Hälfte Stir Fry, dann richtete ich die Räume für die Nachmittagsprüfung, und ab Viertel vor zwei war ich dann selbst als Prüferin im mündlichen Teil der Prüfung. Normalerweise begleite ich als Prüfungsverantwortliche die Prüfungen ja vor allem organisatorisch und mache höchstens ein wenig Aufsicht, da wir im Juni aber so viele Prüfungen gehabt hatten, war ich doch ziemlich viel auch bei der direkten Abnahme der Prüfungen dabei. Und das macht schon Spaß, muss ich sagen, vor allem da die Prüfungsteilnehmenden ihre Sache gut machten, gut vorbereitet waren und allesamt mit ordentlichen Leistungen aufwarten konnten. Und auch die Zusammenarbeit mit der zweiten Prüferin klappte prima, was ich auch nicht anders erwartet hatte. Rundum zufrieden mit dem Nachmittag.

Gegen halb vier waren wir mit der Prüfung fertig, die Kollegin machte sich an die Nacharbeit und ich hakte meine eigenen letzten Dinge ab. Unter anderem waren Prüfungsergebnisse von einer Prüfung letzten Monat gekommen, und diese waren leider nicht so gut. Immer ein etwas weniger schöner Teil meiner Arbeit, den Leuten schlechte Ergebnisse übermitteln zu müssen.
Um Viertel vor fünf schrieb mir der Liebste, er würde mich jetzt im Büro abholen kommen, also packte ich auch zusammen. Noch kurzes Quatschen mit der Yoga-Kollegin (die mir erzählte, dass ihre Schwester die gleichen aus der Schulter kommenden Armschmerzen wie ich auch gehabt hatte, sie hatte das durch konsequentes Training tatsächlich in den Griff bekommen), dann kam der Liebste um fünf ums Eck und ich verabschiedete mich. Erst fünf Uhr, die Sonne schien, wir konnten gemeinsam Feierabend machen (so früh): alles super.

Und weil wir uns freuten und die Laune so gut war, gingen wir noch nicht sofort heim, sondern stoppten auf dem Heimweg am neuen Café bei uns ums Eck, zufälligerweise im gleichen Gebäude, in dem auch die Physiotherapie-Praxis ist. Was halt vor allem damit zu tun hat, dass es eine kleine Stadt ist und es bei uns im Viertel einfach alles fußläufig gibt (was für ein Privileg, echt jetzt, ich bin mir sehr dessen bewusst).
Auf jeden Fall setzten wir uns mit dem Hafermilchkaffee raus in den Schatten – die Sonne war mittlerweile ordentlich warm und der Schatten genau richtig. Dort ein bisschen Quatschen und vom Tag erzählen, dann mäanderten wir noch in einem kleinen Abendspaziergang durchs Viertel und waren um sechs daheim. So schön.

Dort kümmerten wir uns erst einmal um das miauende Tier, dann fuhr ich meinen Laptop hoch und schaute nach Mails (endlich funktioniert das Internet wieder problemlos). Leider nicht so gute Nachrichten aus der Familie: Es gab Updates von einer ziemlich kranken Person, die leider immer noch sehr krank ist, und auch wenn die Ärzte von „verhalten optimistisch“ sprechen, klingt das alles doch recht besorgniserregend und gar nicht gut. Ich merkte, wie ich nicht so wirklich die mentale Kapazität für eine weitere Sorgen-Baustelle hatte, aber Krankheit und Familie und so – das stellte sich sofort an die erste Stelle und verwies die allgemeine politische Wetterlage mal auf die hinteren Plätze. Wir müssen abwarten, wie sich die Situation entwickelt, viel mehr geht leider nicht.

Dann las ich mich noch etwas durchs Internet, bis wir um sieben entschieden, so langsam mal mit dem Kochen anzufangen – wir hatten eine Moussaka geplant (mit einer Seidentofucreme, Auberginen und Pilzen), und die musste ja eine gewisse Zeit in den Ofen. Aber kaum hatten wir in der Küche angefangen, klingelte mein Handy und S aus Berlin meldete sich. Schon sooo ewig nichts mehr voneinander gehört, dann hatte ich vor ein paar Tagen mal geschrieben, woraufhin er „für mal eine halbe Stunde“ anrief. Der Liebste signalisierte mir nonverbal, er würde das weitere Kochen übernehmen, ich zog mich also mit Telefon aufs Sofa zurück – und wie das bei uns eigentlich meistens so ist, hatten wir viel zu erzählen und von den letzten Wochen zu berichten. Bis kurz vor halb zehn, um genau zu sein, soviel zum Thema „halbe Stunde“, und auch dann hörten wir nur auf, weil die mittlerweile fertige Portion Moussaka auf dem Tisch langsam abkühlte und ich vor dem Schlafengehen wenigstens noch einen Happen essen wollte.

Sehr schönes Gespräch, sehr erhellend, wenn es auch in einigen Bereichen ruckelt und nicht rund läuft und überhaupt, die akademische Welt. S und ich hatten ja nach dem Studium unterschiedliche Wege eingeschlagen, er blieb in der Forschung bis zur Habilitation und hat jetzt eine Lehrstuhlvertretung, ich ging nach dem Magister zuerst zum Verlag, dann in die Erwachsenenbildung, also auf den „freien Markt“, haha. Die Tatsache, dass ich keine Promotion an den Magister gehängt habe, empfinde ich nach wie vor als ein bisschen eine Leerstelle in meinem Leben, so als ein „was wäre gewesen, wenn…“. Auch wenn ich denke, dass gute Gründe für die Entscheidung sprachen, finde ich es trotzdem schade. (Ist ja noch nicht aus der Welt, würde der Liebste jetzt sagen, aber… ich weiß nicht.)
Aber als ich mit S am Telefon war und er von den Ärgernissen seines Umfelds berichtete, von immer weniger leistungsfähigen und immer unreiferen Studierenden, von immer größerer Diskrepanz zwischen den Ansprüchen an die Forschung und den Umständen der Lehre, da hatte ich plötzlich das Gefühl, dass meine Entscheidung – „nur“ in der Erwachsenenbildung zu arbeiten, „nur“ zu unterrichten und zu organisieren, ohne wissenschaftliche Fragestellungen berücksichtigen zu müssen, meine wissenschaftliche Qualifikation ausschließlich als Background und Basis für die didaktische Aufbereitung im Unterricht zu brauchen – nicht so ganz falsch gewesen war. Und dass ich vermutlich bei allem Stress und allen Widrigkeiten (dass die Leute bei uns in den Kursen insgesamt weniger konzentrationsfähig sind, dass das Leistungsniveau nachlässt, vor allem die Lesekompetenz fehlt, das merke ich auch) im Großen und Ganzen doch mehr Befriedigung und Energie aus meiner Arbeit ziehe als er. Was für ihn natürlich sehr schade ist und nicht so sein sollte. Aber es zeigte mir, dass es schon ganz in Ordnung gewesen war, nach Studienabschluss der akademischen Welt den Rücken zu kehren. Vielleicht bis zur Rente oder so.