Gute Nacht, nur etwas kalt, es hatte ordentlich abgekühlt (das Handy sagte 10 Grad). Ich wachte um halb sieben auf, ausgeschlafen, und da der Liebste noch tief und fest schlief und ich ihn nicht stören wollte, ging ich runter zu Aufräumaktion, Tee und Laptop. Und dabei fiel mir ein, dass ja seit ein paar Tagen die Frauen-Fußball-WM in Neuseeland und Australien lief. Und zwar vormittags, wegen Südhalbkugel und so. Ich schaute auf dem Spielplan nach, den ich vor ein paar Tagen ausgeschnitten und in der Küche aufgehängt hatte, und ein paar Minuten später lief im ARD-Livestream das Spiel Schweden-Südkorea (beide sehr defensiv aufgestellt, beide störten früh, deshalb ein etwas hakeliges und nicht so attraktives Spiel), und weil warum eigentlich nicht, danach dann noch Niederlande-Portugal. Und zwar mittlerweile auf dem großen Bildschirm, denn um acht kam der Liebste dazu, machte uns ein englisches Frühstück und dann setzten wir uns aufs Sofa und guckten ein bisschen.
Hier mal ein Wort zum Fußball. Für den größten Teil meines Lebens habe ich nicht gerade religiös, aber doch sehr interessiert Fußball verfolgt, in erster Linie die Bundesliga. Als Kind VfB-Fan, weil alle Erwachsenen sagten, dass es so gehört, und ich es nicht besser wusste, bis ich so mit Anfang zwanzig merkte, wie unsympathisch ich diesen Verein eigentlich finde (genauso wie die Stadt Stuttgart), unangenehmer konservativer, albern-unglaubwürdig lokalpatriotischer schwäbischer Möchtegern-Topverein. Seitdem Interesse an Freiburg, Leverkusen, Hertha BSC, als Konstante meine tiefe Abneigung gegen den FC Bayern.
Bundesliga also, internationaler Klubfußball eher weniger, die Champions League war sehr schnell ein Konstrukt, was ich als unsympathisch empfand. Und daneben natürlich die Länderspiele, alle Turniere und auch einige Qualifikationsspiele, und übrigens bei weitem nicht nur die Spiele der deutschen Mannschaft, sondern auch von anderen Ländern. Einige Jahre lang las ich den Kicker, während des Grundstudiums versuchte ich mich sogar ein Semester lang in der Uni-Fußballmannschaft (das ließ ich aber schnell wieder bleiben, unter anderem weil dort die Hobby-Kickerinnen mit den Sportstudentinnen zusammengewürfelt wurden, ein saublödes Konstrukt, aber anderes Thema). Fußball war also schon etwas, wo ich mich auskannte und was mir Freude machte.
Bis diese Freude am Fußball über die Jahre immer mehr und mehr zerstört wurde. Das lässt sich gar nicht an einem Ereignis oder an einer Entscheidung festmachen, sondern es waren viele Dinge, die mir wirklich den Spaß an der Sache verdorben und dazu führten, dass ich einfach keine Lust mehr auf Fußball hatte. Die gesamte Führungsriege des FC Bayern, die diesen Verein wie eine Ausgeburt des organisierten Verbrechens erscheinen ließ. Der ekelerregende Sexismus der großen Mehrheit der deutschen Fußballfans, die sich im Hass gegenüber Journalistinnen ausdrückte, im widerwärtigen Umgang mit den „Spielerfrauen“, in der gönnerhaften Missachtung des Frauenfußballs. Die an Geisteskrankheit grenzende Homophobie. Die Verlogenheit, mit der man Diversität in die Teams bringen wollte, und am Ende doch nur Leute ausnutzte, deren Leistung nützlich war, aber sie nicht richtig integrierte. Der permanente Rassismus, natürlich auch hier wieder in erster Linie von den Fans, aber auch Funktionäre waren häufig genug mit dabei oder widersprachen zumindest nicht. Und es wirft ein Licht auf die Gesamtatmosphäre des Sports, wofür die meinungstragende Mehrheit der Fans steht.
Und dann die Geldgeilheit. Immer noch mehr, noch mehr, noch mehr. Fußballstadien im Dschungel, Fußballstadien in der Wüste, mitten in einer Klimakatastrophe. Spielertransfers mit absurden Ablösesummen, Verleihgeschäfte, die an Menschenhandel erinnern, ständige Trainerentlassungen. Stadionbesuche bei den Eintrittskarten schon lang nicht mehr möglich, Trikots oder ähnlicher Merch sowieso auch nicht, aber auch Fußball im Fernsehen immer häufiger hinter einer Bezahlschranke. Im Internet sowieso: Wenn man die Tagesschau im Livestream schaut, werden sämtliche Zusammenfassungen während der Nachrichten geblockt, obwohl man faktisch die identische Sendung (…zeitgleich) wie im Analogfernsehen schaut. Überhaupt kann man sich auch einmal so gesamtgesellschaftlich darüber unterhalten, ob es in Ordnung ist, dass bei einer Nachrichtensendung fünf Minuten und damit ein Drittel der Gesamtzeit einer einzigen Variante einer einzigen Sportart gewidmet wird (nicht Fußball, nicht Profifußball, sondern Männer-Profifußball 1. Liga).
Der Gipfel war dann einmal die EM 2021 in England, volle Stadien mitten in der Pandemie, ich habe hier schon darüber geschrieben, und dann natürlich die Sklavenhalter-WM in Katar. Die boykottierte ich einfach, ich wollte nicht mehr, ich hatte keine Freude mehr daran. Endgültig kaputt gemacht, vorbei.
…aber der Sport als solcher gefällt mir natürlich immer noch. Er ist einfach unterhaltsam anzuschauen, ich kenne mich gut genug aus, um die Feinheiten zu verstehen, ich kann sozusagen „mitreden“. Und als mir dann wieder einfiel, dass ja gerade WM ist, und wir Urlaub haben und nichts anderes vor, da dachte ich, warum eigentlich nicht. Und ganz ehrlich, das war eine gute Idee. Ich war emotional zwar nicht ganz so engagiert, was vielleicht auch kein Fehler ist, aber ich schaute gern zu. Absolute Profileistung, im Übrigen, viel Spielfreude, schön anzusehen (Niederlande-Portugal noch etwas mehr als Schweden-Südkorea). Die Uhrzeiten sind halt nicht optimal, aber wir sind ja im Urlaub und können machen, was wir wollen.
Das dritte Gruppenspiel des Tages schenkten wir uns allerdings, denn um zwölf packten wir nach einer kurzen Dusche die Gartensachen und fuhren in die Nachbarstadt auf den Friedhof. Ich fuhr, übrigens, und das ist erwähnenswert, denn der Liebste hatte wieder ein Elektroauto gebucht, und das war meine allererste Erfahrung nicht nur mit einem Elektroantrieb, sondern überhaupt mit einem Automatikauto. Hatte ich natürlich vor 25 Jahren beim Führerschein theoretisch gelernt, aber war noch nie praktisch eins gefahren. Wie sich herausstellte, war es aber easy, und auch wenn mir das Schalten fehlte (und ich ständig auf das Motorengeräusch wegen der Drehzahl hörte, was bei einem Elektroauto halt auch witzlos ist), klappte das alles ganz prima. Und die E-Autos sind halt einfach die Zukunft.
Auf dem Friedhof bis kurz nach zwei, denn wir brauchten zwar nicht lang zum Einpflanzen (wir hatten ja nicht so viele Pflanzen dabei, die Sommerstauden waren auch schön gekommen und nahmen recht viel Platz ein), dafür aber umso mehr zum Jäten und vor allem Gießen. Sehr, sehr trockener Boden. Da wir im Schnitt nur einmal im Monat, eher alle fünf Wochen, auf den Friedhof kommen, ist diese Sommertrockenheit schon eine Herausforderung. Dafür sah es eigentlich noch recht ordentlich aus.
Um drei waren wir daheim und machten den Linseneintopf warm, danach mit Espresso und Buch aufs Sofa, wo wir uns den restlichen Tag quasi nicht mehr wegbewegten. Draußen bedeckt, 29 Grad und sehr unangenehm schwül. Wir gingen nur gelegentlich nach dem Kater schauen, da er nicht reinkommen wollte und sehr fress-unlustig war. Ich ging schließlich mit zwei Katzenwürsten zu ihm nach draußen, und er aß eine davon und wollte dann nicht mehr. (!!!) Der Liebste fand das weniger besorgniserregend, ich schon ein bisschen. Gegen später schaute er immerhin vorbei und fraß etwas Trockenfutter.
Irgendwann fiel mir ein, dass ja gerade Tour de France lief, wie sich herausstellte, der letzte Tag, und die ließen wir dann ab fünf laufen, während ich nebenher ein bisschen in meinem Buch las und der Liebste im Internet herumsurfte. Profi-Radsport ist natürlich auch total korrupt und verdorben und eigentlich nicht anschaubar (und übrigens, was ist denn mit den Radfahrern in den letzten zehn Jahren passiert, wann sind die alle auf 1,70 geschrumpft und haben einen BMI von 17,6?), aber so als Hintergrundkulisse war das schon ganz nett. Und halt schöne Paris-Bilder.
Nur auf Kochen hatten wir beide keine Lust. Der Liebste war ausgesprochen müde, ich war faul, und um kurz nach acht entschieden wir uns für die einfache Variante und bestellten zwei vegane Pizzen bei Domino’s. Dazu dann nach der Tour de France den Rest von Zurück in die Zukunft II, und dann natürlich noch, logisch, Zurück in die Zukunft III. Den dritten Teil mochte ich ausgesprochen gern und kannte ihn auch noch nicht so gut, und deshalb hielt ich dann auch tapfer durch bis halb zwölf.