Um zehn nach sechs wachten wir ohne Wecker auf (auch wenn ich ihn natürlich gestellt hatte, er ging aber sowieso nicht richtig an – Licht schon, Piepsen nein). Wir hatten einen vollen Tag vor uns und konnten nach dem Katerschock am Vorabend zwar überhaupt nichts planen, aber so ganz abschreiben wollten wir den Urlaub doch noch nicht. Also früh aufstehen und ein bisschen auf die Listen starren, Tee trinken und wegen Frühstück überlegen – da wir ja eigentlich am Morgen schon hatten fahren wollen, hatten wir am Tag davor den letzten Joghurt und Quark verbraucht und die Gemüseschublade geleert, und Brot hatten wir sowieso kein frisches geholt.
Der vierbeinige Patient kam gleich morgens anmarschiert, fraß etwas Trockenfutter, ließ sich auch Frischfutter geben (das wurde allerdings nur einmal gekostet), streicheln durfte ich ganz vorsichtig, der Liebste nicht, nach zehn Minuten war er wieder draußen. Ich ärgerte mich ein bisschen über mich selbst, dass ich nicht vorher kapiert hatte, dass seine Krusten am Kopf nicht von den Milben kamen (dafür kriegt er ja Medikamente und außerdem würde er da nicht handscheu werden, im Gegenteil) und dass seine Appetitlosigkeit und sein Zurückziehen nichts mit den Sommertemperaturen zu tun hatte. Andererseits, wenn ich drei Tage früher kapiert hätte, dass sich da ein Abszess entwickelt, wären wir vermutlich auch nicht sofort zum Tierarzt gegangen (wann denn auch). In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch wurde er wahrscheinlich gebissen, vor Freitag war vermutlich außer einem Kratzer wenig zu sehen, und Notdienst am Wochenende ist immer so eine Sache – der Montag war sowieso der frühestmögliche Termin. Naja.
Nach dem Tee eine schnelle Dusche, dann rief ich bei der Tierärztin an und bekam, oh Wunder, einen Termin für in einer knappen Stunde. Wenn wir so früh da wären und es nichts Schlimmes wäre, dann könnten wir gegen Mittag ja doch noch fahren, dachte ich mir, leicht hoffnungsvoll. Wir gingen also aus dem Haus, holten beim Viertel-Lieblingsbäcker ein Frühstück für auf die Hand und dann den Carsharing-Kombi, den wir für den kompletten Urlaub gebucht hatten. Wieder nach Hause, wir sammelten den müden und ein bisschen apathisch wirkenden Kater ein und packten ihn in die Transportbox, und um kurz vor halb zehn waren wir pünktlich bei der Ärztin, mit einem im Auto permanent miauenden Tier, das sich im Wartezimmer aber recht schnell beruhigte. Der Liebste ließ mich nur aussteigen und fuhr dann weiter zum Baumarkt, wo wir die Dachterrassen-Bewässerungs-Dingis reserviert hatten, den Tierarztbesuch machte ich allein.
Nach zwanzig Minuten Wartezeit kamen wir dran. Die Ärztin holte den Kater aus der Box, wo er sehr zusammengekauert und mit untergeschlagenen Beinchen saß, noch bewegungsloser als sonst schon (er ist immer sehr ängstlich und deshalb zurückhaltend beim Tierarzt, aber normalerweise mutiert er dann gern zur Flüssigkeit und versucht nach hinten wegzuflutschen). Die Ärztin ertastete gleich den Abszess, und noch bevor sie an die detaillierte Untersuchung ging, maß sie Fieber: 39,9°, ordentlich fiebrig. Kein Wunder, dass er so apathisch war, die Infektion im Hals war in vollem Gange, und das war es dann endgültig mit unserem Urlaub.
Die Halsseite wurde rasiert, die Bisskanäle (denn natürlich war es ein ordentlicher Biss, wenn ich den erwische, der unsere Babykaternase attackiert hat) etwas erweitert, dann wurde der Abszess ausgespült und eine wirkliche Unmenge Eiter herausgeschwemmt. Als das Fell weg war, konnte man die riesige Beule sehen, nach dem Spülen sah es wieder glatt aus. Sie packte noch drei Antibiotikatabletten in die Abszesstasche und gab ihm zwei Spritzen, gab uns mit auf den Weg, dass der Kater AUF KEINEN FALL jetzt nach draußen durfte (mit hohem Fieber sowieso keine Option), noch ein zweiter Termin für den nächsten Tag, Antibiotika als Tabletten zum unters Futter Mischen, fertig, ab nach Hause.
Der Liebste hatte im Auto gewartet, ich hatte ihm aber schon eine Threems mit der frohen Botschaft geschickt, er war also vorbereitet, als wir zu ihm kamen. Erstaunlicherweise war er relativ gelassen und sogar recht gut gelaunt. Er kann ja sowieso viel besser als ich einfach mal eine Woche daheim sein und im Garten und in der Werkstatt vor sich hin basteln, während ich SO GERN einfach mal wieder weggefahren wäre! Das wäre seit dem Sabbatical 2019 der erste richtige Urlaub, so mit planen und buchen und so, und nun das. Ich war schon sehr geknickt.
Daheim ließen wir den Kater aus der Box. Der Liebste fuhr noch mit dem Auto das Paket wegbringen (zweiter Versuch, jetzt erfolgreich), während ich die siebzehn zunehmend verwirrteren Aufforderungen des Katers, ihn doch jetzt bitte mal aus dem Haus zu lassen, tapfer ignorierte (als Erstes hatte ich daheim das Rädchen an der Katzenklappe umgestellt, was er auch nicht kennt und sehr komisch fand – Klappe kaputt? Was ist da los?).
Nach einmal Fressen, kurz trinken, viel meckern und mehrfach Treppen hoch- und runterrasen übermannten ihn Fieber und Infektion. Wir legten uns aufs Sofa, er legte sich dazu und schlief sofort ein, während der Liebste auf Ebay unterwegs war und ich aus lauter Frustration Unterwäsche, Bücher und Musik bestellte (jetzt wo wir daheim sind, können wir wenigstens Pakete entgegennehmen, haha). Ach ja, der Liebste sagte noch den Nachbarn Bescheid, dass sie doch nicht zur Katerfütterung kommen müssen, und stornierte die Ferienwohnung (erst per Handy auf die Mailbox, dann noch per Mail). Erstaunlicherweise meldete sich der Ferienwohnungsmensch gleich, wünschte dem Kater gute Besserung, und wir müssen gar nichts bezahlen (ich hätte zumindest eine Stornogebühr oder so erwartet – erstaunlich).
Am frühen Nachmittag gingen wir aus dem Haus – der Plan war, jetzt wo wir daheim bleiben mussten, wenigstens die heimische Gastro etwas zu unterstützen. Wir hatten mittags erst die Reste des Bäckerfrühstücks gegessen und deshalb nicht so viel Hunger, aber eine Kleinigkeit wollten wir schon. Also gingen wir ins neue Stadtzentrumsrand-Café, wo der Liebste ein Sandwich und ich einen Salatteller bestellten. (Offensichtlich neue Bedienung, die auf die Frage nach herzhaften veganen Sachen antwortete „äh, also außer Karottenkuchen (…??) haben wir nix in vegan“, dann aber vom erfahrenen Kollegen abgefangen wurde, der uns aus dem Stand gleich mal fünf Sachen aufzählte, Sandwich, Salat, Suppe, you name it).
Gegen halb vier waren wir wieder daheim und es war sehr heiß geworden. Ich spannte den Sonnenschirm auf der Dachterrasse auf und legte mich im Bikini (im Schatten) mit Buch und Wasserglas auf den Liegestuhl. Der Kater schaute mal bei mir vorbei (auf die Dachterrasse darf er, von dort kann er die zwei Stockwerke nicht herunterklettern – nicht dass er nicht nachgeschaut hätte, ob es nicht vielleicht doch geht) und legte sich dann schmollend unters Bett. Ich verzog mich nach einer halben Stunde auch wieder rein und hielt einen ausführlichen (Nach-)Mittagsschlaf. Urlaub und so.
Um fünf war ich wieder wach und tatendurstig, so langsam hatte ich mich an den Gedanken an Urlaub auf Balkonien gewöhnt. Ich legte mir eine CD ein, rollte die Yogamatte aus und machte mich eine Dreiviertelstunde lang locker, mit einem Fokus auf Muskeltraining, speziell Rücken und Bauch, misstrauisch beäugt vom Kater, der immer noch unter dem Bett lag. Die Hanteln ließ ich dieses Mal weg, weil ich die unter dem Bett hätte hervorklauben müssen und den Kater nicht stören wollte.
Dann war es Abend, ich wusch mir etwas den Schweiß ab, holte den Liebsten vom Sofa, er zog sich ein Hemd an, ich mir ein Sommerkleid, und dann gingen wir zum Essen zu einem unserer Lieblingsitaliener. Wir bekamen einen der letzten Tische draußen, wo zwar die Busse von der nahegelegenen Brücke etwas störten, aber man ansonsten sehr nett am Fluss saß. Nur dass es eigentlich ein Vierertisch war, der zu zwei Zweiertischen auseinandergezogen wurde, die aber so eng aneinander standen, dass man quasi trotzdem zusammen am Tisch saß. Kurz nach uns wurde ein junger Mann neben uns platziert, und prompt nahm der Kellner uns ständig als Einheit wahr, wollte die Bestellung gemeinsam aufnehmen und so weiter.
Quasi zwangsläufig kamen wir also mit dem jungen Mann ins Gespräch und erfuhren, dass er eigentlich aus Rostock kommt, gerade seinen Bachelor in Physik in Dresden abgeschlossen hat und sich jetzt für die Aufnahme in das Masterprogramm für medizinische Strahlenwissenschaften an der Uni bewirbt – er war für zwei Tage angereist, am kommenden Tag sollte das Aufnahmegespräch sein. Wir kamen also ganz natürlich ins Quatschen über das Klinikum (der Liebste arbeitet halt dort, prompt kam die Frage „sind Sie dort Arzt“, lol, nein danke) und über die Stadt und den Neckar und die Umgebung und Baden-Württemberg und überhaupt. Ein bisschen kam ich mir vor wie ein mittelaltes Boomer-Paar, das dem armen jungen Kerl seinen Abend blockiert, aber ich glaube, es war ganz okay, ich fand es auf jeden Fall nett. Nur etwas geschockt war ich von der Tatsache, dass mir plötzlich bewusst wurde, seit ziemlich exakt 25 Jahren in Tübingen zu sein. Unglaublich. Wo ist die Zeit hin??
Auf jeden Fall Essen: Einen Prosecco zum Anstoßen (schließlich ist Urlaub), dann hätten wir eigentlich gemischten Salat und Bruschetta als Vorspeise und Penne all’Arrabiatta als Hauptgang gehabt, allerdings waren Bedienung und Küche und überhaupt alle sehr im Stress, deshalb kamen die Penne als erstes. Aber egal, es war alles sehr lecker, das Glas Pinot Grigio kam auch schon nach nur einmal extra Nachfragen, noch ein Espresso, dann gingen wir um halb zehn sehr zufrieden zurück in die Südstadt.
Dort setzten wir uns noch für einen Absacker (eine Williamsbirne, um genau zu sein) in die Stammkneipe am Eck, und um halb elf gingen wir sehr zufrieden heim. Dort beruhigten wir erst einmal einen Kater, der uns aufgeregt entgegen gerannt kam und JETZT ABER WIRKLICH MAL nach draußen wollte, sich dann aber schließlich in sein Schicksal ergab und sich zu uns ins Bett legte (zum Glück an den Liebsten gelehnt, ich wollte keinen Körperkontakt mit einer 40°-Heizung haben). Und das war, so im Großen und Ganzen, nicht so ein ganz schlechter erster Urlaubstag, trotz allem.