Fronleichnam, Donnerstag 3.6.2021

Ich wachte irgendwann nachts auf, weil mir total warm war, schob die Decke weg, wälzte mich hin und her und grübelte, ob das jetzt erste Anzeichen der Wechseljahre sind oder die Nachwirkungen des gestrigen Alkohols. Als der Liebste sich allerdings auch über die Wärme beklagte, schaute ich auf das Thermometer: über 24 Grad im Schlafzimmer, wohl doch keine Wechseljahre. Ich machte die Balkontür komplett auf und schlief noch einmal für ein paar Stunden.

Am Morgen fühlte ich mich recht schlapp und ein bisschen verkatert, hatte aber glücklicherweise keine Kopfschmerzen. Wir ließen den Tag ruhig angehen, ich verbrachte den Vormittag nach einem Porridge mit Erdnussbutter, Banane und Kakao im Internet, auf Twitter und YouTube. Mittags stellte ich mich unter die heiße Dusche (es ist zwar warm draußen, aber noch lang nicht so warm, dass ich eine heiße Dusche nicht genießen würde), der Liebste machte uns eine Portion Pasta mit frischen Pilzen, Knoblauch und Spinat, im Anschluss Espresso und Erdbeeren (unter die Schlagsahne hatte er dieses Mal etwas Kokoscreme geschlagen, weil eine Dose noch von der Laksa gestern offen war – sehr gut, allerdings auch sehr reichhaltig).

Am frühen Nachmittag hatte ich mich dann genug ausgeruht und ent-katert und wollte etwas Produktives machen. Schon länger hatte ich überlegt, das lange Wochenende dazu zu nutzen, in meinem Arbeitszimmer aufzuräumen und Sachen durchzusortieren. Mein Arbeitszimmer ist schon länger ziemlich zugestellt und zugestapelt mit Sachen, die ich als Nachlass von meiner Mutter übernommen hatte – wir waren als Geschwister schon einmal durchgegangen, einiges hatte ich entschieden aufzuheben, einiges sollte eigentlich wegkommen und einiges musste ich noch einmal genauer durchschauen. Davor drückte ich mich allerdings schon eine ganze Weile, auch weil ich etwas die Sorge hatte, dass es emotional zu anstrengend sein könnte (es sind u.a. auch einige Sachen von meinem Bruder dabei, der gestorben war, als ich noch ein Kind war – seinen Nachlass hatte meine Mutter übernommen, jetzt waren sie bei mir gelandet und ich war nicht so sicher, wie viel davon ich behalten wollte und wie viel nicht).

Ich beschloss, gar nicht gleich „alles“ durchzugehen, sondern mal mit ein paar Ecken anzufangen, und zwar zunächst mit einigen alten Sachen von mir im Wandschrank im Arbeitszimmer. Der Liebste half tatkräftig mit und eine Stunde später war der Schrank sehr schön aufgeräumt, vier Fächer leer und der „zu verschenken“-Stapel und eine Mülltüte gut gefüllt.
Als nächstes machten wir uns an Ordner und Alben. Der Liebste nahm sich fünf Ordner meiner Mutter aus ihrer Hauswirtschafts-Ausbildung vor, u.a. mit Nähanleitungen und Mustern, weil er als Nähmaschinen-Besitzer schauen wollte, was davon für ihn interessant sein könnte. Ich ging währenddessen einen großen Stapel Kinderbilder durch, die meine Mutter von mir aufgehoben hatte. Eine Stunde später waren wir mehr oder weniger beim gleichen Ergebnis: Die Ordner kamen komplett weg (das meiste war sehr speziell und auch nicht als „Erinnerung“ geeignet, und wie der Liebste treffend sagte: Wenn man heutzutage wissen will, wie man einen Reißverschluss einnäht, dann sucht man ein YouTube-Tutorial dazu). Und auch die Kinderbilder entschied ich nicht aufzubewahren: An die allermeisten hatte ich sowieso überhaupt keine Erinnerung mehr, und bei den wenigen, an die ich mich erinnerte, waren es meist Situationen, wo wir in der Grundschule irgendwelche Mal-Aufträge bekommen hatten und dann nach einem bestimmten Muster oder ein bestimmtes Motiv malen mussten, was ich eher doof fand. Ich hob nur zwei Bilder auf: Ein Bild von einem Raumschiff und eines von einem Feuerwehrauto. Wir mussten sehr lachen, die Obsession scheint also früh angefangen zu haben.

Danach ging der Liebste wieder runter (trug vorher noch mehrere Arme voller Altpapier zur Tonne) und ich ging durch Fotoalben durch. Ein paar warf ich weg und nahm nur wenige Bilder raus (Alben von irgendwelchen Kirchenfesten, Einsegnungsfeiern oder Ausflügen, dazu Vereinssachen oder ähnliches). Oft waren es Bilder, bei denen ich die abgebildeten Leute gar nicht kannte und/oder wo die Situation nur mit meiner Mutter, aber nichts mit uns als Familie zu tun hatte (z.B. war sie eine Zeit lang in einer Rollstuhl-Tanzgruppe gewesen). Einige Familien-Alben legte ich zur Seite, da hatte ich schon länger entschieden, sie komplett aufzuheben (meine Mutter hatte sehr liebevoll von uns Kindern Alben angelegt und beschriftet, diese durften natürlich bleiben).
Als nächstes kam ein Ordner, der mit meiner Mutter persönlich zu tun hatte (eine Mischung aus Lebenserinnerungen, Krankheitsgeschichte und auch offiziellen Dokumenten, z.B. Briefwechsel mit der Krankenkasse). Auch hier räumte ich großzügig aus und hob die Sachen auf, die eher persönlich waren und für mich evtl. auch von Bedeutung sein könnten, z.B. Krankheitsinformationen, viele andere persönliche Sachen kamen weg. Das ging schneller als gedacht (wie gesagt war ich mit meinen Geschwistern schon einmal durchgegangen und wir hatten bei den meisten Sachen die Entscheidung schon getroffen, man musste es nur etwas durchsortieren).

Als letztes machte ich mich an den Nachlass meines Bruders, der in den 80er Jahren schon gestorben war: Zwei Boxen und ein paar Fotoalben. Vieles davon räumte ich ebenfalls aus (viele „offizielle“ Dokumente, die heute keine Relevanz mehr haben, Briefe von der Bank und ähnliches), die Notizbücher, einige persönliche Briefe und die Fotoalben blieben. Zu vielem hatte ich wenig Bezug (die Sachen sind ja Jahrzehnte alt und ich hatte sowieso, damals noch Grundschulkind, wenig Erinnerungen an Dinge, die nicht mein ganz persönliches Lebensumfeld betrafen), einige Dinge fand ich aber sehr berührend, vielleicht gerade mit etwas Distanz.

Mittlerweile war es Viertel nach sieben, ich war etwas eingestaubt und hatte auch das Bedürfnis, aus der Vergangenheit wieder aufzutauchen und meinen Kopf mit zukunftsgerichteten Gedanken zu füllen (die Aktion war teilweise schon bedrückend gewesen). Ich holte also den Liebsten vom Sofa und wir machten uns ans gemeinsame Abendessen: Eine Spargelquiche mit selbst gemachtem Vollkornteig, grünem Spargel und einer Creme aus Seidentofu, Chili und Kräutern, dazu (vorneweg) eine große Schüssel Salat. Die Quiche ging erstaunlich schnell zu machen, nach einer Viertelstunde war sie im Ofen (eigentlich hätte der Teig allerdings eine Stunde in den Kühlschrank müssen) und sehr lecker. Wir machten dazu eine Flasche Rosé auf, von dem ich aber nur ein Glas trank (ich hatte am Vortag genug Alkohol gehabt und so richtig überzeugte er mich auch nicht). Als Nachtisch gab es die restlichen Erdbeeren mit Schlagsahne, dazu etwas TNG, und dann gingen wir zur Abwechslung einmal erst ins Bett, als es draußen schon richtig dunkel war, schließlich ist das ja doch so etwas wie Urlaub.