Himmelfahrt, Donnerstag 26.5.2022

Im Dämmerlicht aufgewacht, draußen eifriges Vogelzwitschern. Ich fühlte mich noch überhaupt nicht aufstehbereit – der Wecker sagte halb fünf – also etwas hin- und hergedreht, nach dem Mitschläfer geschaut und schließlich wieder mehr oder weniger eingeschlafen. Als ich das nächste Mal so richtig wach wurde, war es sieben Uhr und ich war bereit für den Tag.
Den startete ich erst einmal, indem ich die Mittwochszeitung gründlich durchlas. Das Zeitungslesen ist bei mir ja leider sehr zu kurz gekommen in den letzten Wochen, und auch wenn ich die Nachrichten trotzdem mehr oder weniger verfolge (dank Guardian und SPON auf dem Handy sowie diversen Podcasts), so entgeht mir doch spezifisch aus der Regionalpolitik einiges, wenn ich die Tageszeitung weglasse. So erfuhr ich unter anderem, dass am Wochenende großes Feuerwehrfest in der Stadt ist, und das ist überhaupt gar nicht ironisch gemeint. Ich großes Kind.

Den Morgen verbrachten wir, wie eigentlich jeden Sonn- und Feiertag, geruhsam am Esstisch, mit viel Lesen, zum Frühstück etwas Toastbrot und Orangensaft. Ansonsten Internet leerlesen, eine große Kanne Kaffee, irgendwann wechselte ich zu Buch und Sofa. Und weil wir schon dabei waren und Sojamilch verbrauchen wollten und überhaupt, kochten wir noch eine Schüssel Grießpudding, hihi. Gegessen werden konnte er natürlich noch nicht (bzw. hätte er schon, aber wir wollten ja kühlen Pudding und keinen heißen Grießbrei). Deshalb als zweites Frühstück etwas gekauften Grießpudding aus dem Becher (unserer wird natürlich viel besser sein, ist ja klar).
Draußen war am Morgen der Himmel strahlend blau gewesen, dann hatte es aber zugezogen und war recht kühl, die Sonne kam nur sporadisch zum Vorschein und mich zog es nicht nach draußen. Stattdessen las ich mir sehr gründlich das Kochen ohne Knochen-Kochbuch durch: Ja, sehr solide, gefällt mir gut. Die Rezepte sind allesamt sehr unprätentiös und einfach gehalten, ohne Schnickschnack, alltagstauglich, so eine richtige Art Grundkochbuch. Eine Menge der Gerichte kannte ich schon und fand es gut, jetzt so eine Art Nachschlagewerk für die Klassiker an einem Platz zu haben. Dazu gibt es zu jedem Essen einen Musiktipp – da war ich allerdings ziemlich raus, ich kannte fast keine Band. Ist wohl viel aus der Punkrock-Szene dabei, was ja nicht so meine Welt ist – Hard Rock, Indie, Grunge schon eher (sagt überhaupt noch irgendjemand Grunge?).

Zum Mittagessen machte ich uns die zweite Hälfte des Risotto warm, danach eine Scheibe Schokobrot als Nachtisch und den restlichen Kaffee. Außerdem wechselte ich vom Kochbuch zu meinem gerade zu lesenden Sachbuch, allerdings nur für eine gute halbe Stunde, dann schlief ich ein (Mittagsschlaf!). Gegen Viertel nach zwei wachte ich auf und beschloss, den Schlampermodus einzustellen, ich ging duschen. Draußen war es mittlerweile sonnig und doch ziemlich warm, ich setzte mich mit Buch auf den Balkon, bis es mir zu viel wurde.

Also doch wieder Sofa, dort nahm ich mir meinen Laptop. Das hätte ich vielleicht bleiben lassen sollen, denn ich ging auf Twitter, und dadurch war es mit der Feiertagsruhe vorbei. Die deutschen Tweets drehten sich um das übliche Mimimi Corona Krieg Vatertag ist doof Mimimi, und die britischen Tweets waren in erster Linie damit beschäftigt, sich über den trinkenden Boris Johnson aufzuregen (sie werden ihn einfach nicht zum Rücktritt kriegen, Partygate hin oder her, dieses moralverkommene Subjekt trägt nicht genug Anstand für einen Rücktritt in sich), aber die amerikanischen Tweets beschäftigten sich fast ausschließlich mit dem Amoklauf in Texas. Von dem hatte ich zwar am Mittwoch schon bei Guardian und SPON gelesen, aber die Details – und vor allem die Emotionen – hatte ich so nicht mitbekommen.
Ich habe ja im Grunde genommen die Hoffnung in die USA nach Sandy Hook 2012 aufgegeben. Man fragt ja immer „was muss noch passieren“ und hat dabei die Vorstellung, dass es eine rote Linie geben müsste, an der, quasi automatisch, selbst das verkommenste Land zurückschrecken und verstehen müsste: Hier nicht mehr weiter. Und diese rote Linie waren 2012 die erschossenen Kinder, und es änderte sich nichts. Seitdem halte ich das Land für moralisch verloren. Wenn nicht einmal die Leichen getöteter Grundschulkinder eine Veränderung herbeiführen können, dann kann es gar nichts. Das Land ist in Geiselhaft religiöser, menschenhassender Fanatiker, und es merkt es noch nicht einmal. Es entwickelt sich zur Theokratie, und das meine ich nicht als intellektuelles Gedankenspiel, sondern als reale Gefahr.
So gesehen war das Massaker in Texas eine logische Fortsetzung der Entwicklung, ein weiteres Kapitel. Der Schmerz und die Fassungslosigkeit sind natürlich extrem real, ich will nicht zynisch klingen (für Zynismus sorgen gewisse Leute schon selber: Bei der NRA-Jahrestagung in Houston sind während Donald Trumps Auftritt Waffen verboten). Als Beispiel für den Schmerz: dieser extrem wütende Basketball-Coach (Steve Kerr). Bei mir bleibt daneben einfach auch Verständnislosigkeit. Und ja, der Vergleich mit dem Tempolimit in Deutschland wurde oft gezogen (das Auto ist das Heilige Kalb der Deutschen, das Tempolimit wird nicht kommen, gegen alle Vernunftgründe, weil es politisch nicht gewollt ist), aber trotzdem: Ich will einfach nicht glauben, dass es in Deutschland möglich wäre, dass Menschen wöchentlich ihre großen Autos benutzen, um damit beispielsweise über Spielplätze zu rasen und Kinder aufs Korn zu nehmen, und das überhaupt keine politischen Konsequenzen hätte oder zu Regulierungsversuchen führen würde.

Ich las also vor mich hin und war wütend und die Szene war bizarr, denn der Kater kam zu uns und schlief direkt neben mir ein, der Liebste lag auch daneben und überhaupt war es eigentlich ziemlich friedlich. Und warm.
Gegen fünf gingen wir dann noch einmal für eine Runde in den Garten (ich hatte über einen Spaziergang nachgedacht, aber dafür reichte die Motivation dann doch nicht aus). Während der Liebste die Forsythie zurückschnitt (eigentlich falsche Jahreszeit, aber sie wuchs überall in den Weg) und das rechte Staudenbeet vom Giersch befreite, legte ich die Platten wieder frei, die zum Komposthaufen führen und von einer 20 cm-Erdschicht bedeckt waren. Begleitet wurde unsere Gartenarbeit von den Nachbarn, die mit Gitarre im Garten saßen und UNGLAUBLICH schlecht 90er-Jahre-Lieder sangen, es grenzte wirklich an Körperverletzung. Und natürlich ist man tolerant, aber alles hat seine Grenzen.

Eigentlich hatten wir für den Abend Pasta mit Pilzen geplant, aber dann fragte eine Freundin des Liebsten an, ob wir spontan zum Essen vorbeikommen wollten (Menschenkontakt!). Wir ließen also das Kochen sein, säuberten uns stattdessen von der Gartenarbeit, zogen uns um, der Liebste machte noch eine Mousse au Chocolat für den nächsten Tag (weil Grießpudding offensichtlich nicht genug ist), und um kurz vor acht gingen wir los.
Schöner Abend, wenn auch thematisch etwas Corona-lastig. Aber gutes Essen, viel gesprochen, außerdem eine Flasche französischen Weißwein (zu viert), und last but not least wohnen in dem Haushalt zwei Hunde. Die eine ist ausgesprochen scheu und kam nur einmal schnell vorbei, um ihre Nase gegen meinen Handrücken zu drücken und sich die seidigen Ohren streicheln zu lassen (vom Liebsten wollte sie sich dann schon nicht mehr anfassen lassen und verschwand wieder im Schlafzimmer). Der andere machte das aber mehr als wett: Während des Essens lag er abwartend unter dem Tisch, aber die gesamte Zeit davor und danach drückte er sich entweder beim Liebsten oder bei mir (oder bei uns beiden) gegen die Beine und ließ sich durchkraulen. Eigentlich wäre er beim Liebsten direkt auf den Schoß geklettert, er ist nur ein wenig zu groß dafür. Gegen elf gingen wir also nach Hause, von oben bis unten voll mit grauen Hundehaaren und insgesamt sehr zufrieden.