Um halb sieben durch den piepsenden Wecker wach geworden (das Licht hatte ich wohl ignoriert), einmal snoozen, dann gleich Vollgas: Der Liebste musste früh aus dem Haus. Ich räumte also die Küche auf, fütterte den Kater und machte uns einen Tee, während der Liebste seine Sachen zusammenpackte, sich ein Frühstück machte, den Tee in vier großen Schlucken trank und um kurz nach sieben mit dem Fahrrad in die Dämmerung verschwand. Danach machte ich mir erst einmal ein Müsli, mit kritischem Blick auf die Uhr – ich wollte selbst nicht allzu spät anfangen. Nach Frühstück, kurzer Blogrunde und Badezimmer wurde es dann aber trotzdem Viertel vor neun, bis ich im Arbeitszimmer war.
Gleich zu Beginn des Arbeitstags hatte ich einen Einzelunterricht mit einer Teilnehmerin, die ich schon seit zwei Monaten nicht mehr gesehen hatte – erst ich Urlaub, dann sie Corona, dann sie Urlaub, dann ich Termine. Die Teilnehmerin engagiert sich ziemlich in der Flüchtlingshilfe und ärgerte sich über ein paar Erlebnisse der letzten Wochen, speziell über Leute, die eifrig Hilfe anbieten, aber dann entweder nichts mehr von sich hören lassen oder, noch schlimmer, kein Durchhaltevermögen zeigen, solang sie für sich selbst keinen Benefit aus der Sache ziehen können. Besonders ärgerte sie sich über Leute aus unserer eigenen Generation (sie Mitte 40, ich Ende 40): Die jungen Leute und die Leute ab Mitte 50 seien wohl voll dabei, zuverlässig und einsatzbereit, die mittlere Generation dagegen: schwierig. Nun ja, dachte ich mir, die Leute zwischen 30 und 50 sind halt normalerweise auch mit Jobs und Familie mehr als ausgelastet. Aber Leute, die keine Zeit hatten und das auch ehrlich kommunizierten, waren nicht ihr Thema, sondern eher die, die sich selbst als die hilfsbereiten großherzigen Helfer sahen, aber nicht aufzufinden waren, wenn es drauf ankam. Die bei jeder Unbequemlichkeit, bei jedem Widerstand, bei jeder vielleicht nicht ganz so spannenden oder stressigen oder unangenehmen Situation sofort in der Versenkung verschwanden, meist nicht ohne sich vorher über die Zumutung zu beschweren.
Ich wusste schon, was sie meinte, weiß aber nur nicht, wie verallgemeinerbar das Urteil ist. Allerdings unterhielten wir uns auch ein bisschen über die momentanen Entlastungspakete, und das ist tatsächlich etwas, was mir gerade auch auf die Nerven geht: Wie im Moment jeder schreit, vor allem jeder aus der nicht-so-schlecht-dastehenden Mittelschicht, dass er entlastet werden muss. Staatliche Entlastung sollte aber für die da sein, die ohne Hilfe nicht über die Runden kommen würden, die ansonsten abstürzen würden, und nicht für jeden, der seinen sorgenfreien Lebensstil bedroht sieht. Und klar fühlt sich jeder immer irgendwie so, als hätte er es gerade ganz besonders schlecht, aber ein bisschen mehr Ehrlichkeit im eigenen Urteil wäre da schon wünschenswert. Der Staat (…und der Staat sind wir, im Übrigen) kann schlicht und einfach nicht dafür sorgen, dass die gesamte bürgerliche Mittelschicht ihren Standard trotz steigender Kosten schmerzfrei so weiterführen kann wie bisher. Erst recht nicht, da dieser Lebensstandard mit seiner Ressourcenbelastung für einen Großteil der Probleme mit verantwortlich ist.
Auf jeden Fall ein wenig politische Analyse, danach administrative Arbeit am Schreibtisch, ich hakte ein paar Dinge für die übervolle kommende Woche ab, beantwortete ein paar dringliche Mails und konnte es kaum glauben, dass ich am Ende ganz okay dastand, was die kommende Prüfung anging. Ich schaute mir noch dreimal den Ablaufplan an, ob ich irgendetwas vergessen hatte – nein, es sah okay aus. Also zufriedene Mittagspause um halb eins (zweite Hälfte Bohnensalat, danach kein Brot, obwohl Brot gut gepasst hätte, aber wir hatten es zur Wochenmitte verbraucht und vergessen nachzukaufen geschweige denn selbst zu backen – leider).
Um halb zwei arbeitete ich weiter, ein (etwas anstrengender) Beratungstermin, ansonsten Mails und Unterrichtsvorbereitung (Skandinavien) und Korrekturen (ebenfalls Skandinavien, wobei mir so richtig das Herz schmolz: Die Leute machten ganz, ganz lustige Übersetzungsfehler, die ich im Leben nicht verstanden hätte, wenn ich nicht fünf Jahre Schwedisch gelernt hätte – aber so konnte ich rückübersetzen und verstand plötzlich, was sie eigentlich hatten sagen wollen und es war einfach alles sehr niedlich).
So gegen zwei kam auch der Liebste nach Hause und machte seinen restlichen Arbeitstag im Home Office, was sehr cool war, weil er schon befürchtet hatte, bis sechs oder länger im Büro bleiben zu müssen. Stattdessen ging alles schneller als gedacht, er konnte auch ein paar Sachen delegieren und den Rest remote machen. Sehr schön für mich, wenn auch eine leichte Ablenkungsquelle (obwohl: Wenn ich allein daheim bin, dann lenke ich mich selbst ab, dafür brauche ich den Liebsten nicht). Auf jeden Fall konnte er so später noch einen privaten Beratungstermin wahrnehmen, was auch wichtig war, außerdem gab es Kaffee für uns, UND er konnte noch schnell ein Brot holen.
Noch ein letztes Teams-Meeting mit dem Kollegen, bevor er am Wochenende zum Prüfungstermin fliegt (wir nehmen die Prüfung außerhalb Deutschlands remote ab, er wird vor Ort sein, während ich von hier aus koordiniere). Es sah alles gut aus, wir waren im Großen und Ganzen gut vorbereitet, besprachen noch die letzten Kleinigkeiten, und alles hätte prima sein können, wenn ich nicht während des Gesprächs meine halbvolle Teetasse quer über den Schreibtisch gekippt hätte. Hurra. Die Sachen auf dem Tisch blieben mehr oder weniger verschont (bis auf eine Postkarte, die ich aus London mitgebracht hatte, was mir schon etwas wehtat), aber der Tee lief hinten den Schreibtisch herunter, dort auf die Computerkabel (zum Glück nicht in den Computer) und in den Ständer der Ringleuchte.
Ich beendete den Teamscall relativ schnell, fuhr den Rechner herunter und wischte den Tee auf, unterstützt vom Liebsten, der mir die Ringleuchte abnahm. Das war allerdings etwas lustig: Der Tee war in den Fuß gelaufen und man konnte ihn innen umherschwappen hören, bekam ihn aber nicht mehr heraus. Eine wirkliche Öffnung war nicht vorgesehen, man hätte den Fuß auseinanderbauen müssen, aber dann wäre er halt vermutlich kaputt gewesen. (Wäre auch kein Drama, ich brauche die Ringleuchte gar nicht, meine Hoffnung, dass sie bei Zoom-Meetings super Licht macht, hat sich sehr schnell zerschlagen, sie blendet eher und spiegelt sich als doofer Ring in meiner Brille). Am Ende stellte er die Leuchte kopfüber in die Badewanne in der Hoffnung, dass der Tee über Nacht so allmählich aus den Ritzen sickern wird. Mal schauen. Wenn das nicht klappt, verkaufen wir das Ding über Ebay, samt Tee.
Um halb sieben beendete ich den Arbeitstag, etwas später als geplant, aber immerhin an einem ganz guten Punkt. Ich hatte eigentlich wirklich so richtig Sport machen wollen (hatte mir sogar überlegt, ins Fitnessstudio zu gehen), jetzt wo der Yogakurs nicht stattfindet, aber irgendwie fraß die Arbeit einfach an allen Ecken und Enden die Zeit auf. Aber immerhin eine halbe Stunde Yoga bekam ich jetzt noch hin, bis kurz nach sieben, das war definitiv besser als nichts.
Und dann aus dem Haus: Wir wollten eine zweite Runde auf den Markt und dort auch was essen. Zwar war beim Liebsten die Laune erst einmal nicht so gut (Kaffee war nicht lecker und Bauch zwickte und Wetter war kalt und Socken rutschten in den Schuhen und alles mäh), aber als wir dann dort waren, war es echt okay. Ordentlich kalt allerdings, der Regen hatte zwar um vier aufgehört, aber die Luft war so kühl, dass eine Mütze keine schlechte Idee gewesen wäre. Egal, wir holten uns erst einmal Pommes an einem Imbiss in der Altstadt (lange Wartezeit, dafür die besten Pommes und dazu unfassbar leckere vegane Knoblauch-Mayo) und spazierten dann ein bisschen die Stände entlang. Es war voller als am Donnerstag und eine schöne Atmosphäre.
Wir gingen ein zweites Mal zum französischen Seifenstand (einfach weil es da so viele tolle Seifen gibt und die erst nächstes Jahr wieder kommen) und dann, natürlich, zum Weintrinken. Der Liebste mit einem Glas Rotwein (Jahrgang 2013, krass, aber gut gereift) und ich mit einem Sauvignon Blanc bewaffnet, spazierten wir noch ein bisschen durch die Gegend, widerstanden der Versuchung, irgendwelchen unnötigen Quatsch zu kaufen, und schauten uns das Markttreiben an. Naja, bis ich dann total Lust auf etwas Süßes bekam (so ungefähr einmal alle vier Monate) und es an den Ständen nichts Veganes gab und wir schließlich in einem kleinen Supermarkt im Zentrum landeten und uns dort eine Tafel Marzipanschokolade holten. Die wir dann, auf einem Mäuerchen sitzend, sofort komplett aufaßen, keine Ahnung, was da in uns gefahren war. Aber alles gut, und wir hatten es bei einem Wein belassen UND keine Gläser mitgenommen. Ein klein bisschen Disziplin hatten wir also immerhin bewiesen.