Gelesene Bücher 2022

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Ich startete mit einem guten Lesevorsatz ins neue Jahr: Ich wollte diese merkwürdige Leseblockade aus dem Vorjahr aufbrechen. Das war ich Ende 2021 schon so langsam angegangen, und 2022 beschloss ich, das etwas bewusster zu verfolgen. Nicht indem ich mir ein Ziel an gelesenen Büchern setzte (also im Sinn einer Zahl – höchstens, dass es nicht *noch weniger* werden sollten), sondern indem ich versuchte, Lesefallen zu vermeiden. In diesem Sinn gab ich mir die Erlaubnis für verschiedene Dinge:
> Ich erlaubte mir, Bücher abzubrechen, wenn sie mir nicht zusagten, ich nicht die Ruhe dafür hatte oder ich mich damit schwertat (am 8.1. habe ich darüber schon etwas geschrieben).
> Ich erlaubte mir, „Quatsch“ oder „leichte Literatur“ zu lesen, Krimis, Taschenbücher, Gedöns, einfache Kost halt. Mache ich ja sowieso immer schon, aber jetzt noch ein bisschen bewusster.
> Ich erkannte an, dass nicht jede:r, der im Sachbuchbereich von sich selbst behauptet, Expert:in zu sein, auch Expert:in ist. Das gilt besonders für den Unterschied zwischen Wissenschaftler:innen (haben zu einem Thema tatsächlich geforscht, sind ausgewiesenermaßen Expert:innen) und Journalist:innen (haben zu einem Thema meist viel gelesen, was sie überhaupt nicht automatisch zu Expert:innen macht, auch wenn sie sich das einbilden). Und selbst wenn jemand Expert:in ist, heißt das überhaupt nicht, dass er/sie die Erkenntnisse auch lesbar und stringent in Buchform vermitteln könnte. Deshalb ist es völlig in Ordnung, Sachbücher abzubrechen, Sachbücher querzulesen, bei Sachbüchern die letzten drei Kapitel wegzulassen. Schadet vielen überhaupt nicht.
> Ich räumte und plante mir Zeit zum Lesen ein – und empfand dadurch „drei Stunden auf dem Sofa gelesen“ nicht mehr als „nichts gemacht“. Großer emotionaler Unterschied.

Mit diesen Erlaubnissen und Erkenntnissen im Hinterkopf ging ich also an mein Lesejahr, und das sieht man: Viel Spaßliteratur, viele Krimis, interessanterweise viel mehr Bücher auf Deutsch als in den Vorjahren. In Summe kam ich auf 34 Bücher. Nur die ausgelesenen. Die abgebrochenen zähle ich nicht, und dementsprechend werden sich auch keine totalen Flops in der Liste finden, denn die habe ich ja einfach aufgehört. Gute Entscheidung. Über die meisten Bücher habe ich im Übrigen im Blog meist kurz etwas geschrieben, weswegen ich hier nicht allzu sehr ins Detail gehe. Here goes:

Bill Bryson: The Body: A Guide for Occupants (5/5)
Um mich nicht gleich zu Jahresanfang zu blockieren, fing ich mit einem schon gelesenen Buch an (bei dem ich mich sowieso an wenig erinnerte). Bryson geht immer, auch wenn er sich hier vielleicht mit dem Thema etwas übernommen hat, Medizin ist einfach so komplex, dass es schwierig ist, alles auf ein Sachbuch runterzubrechen und nicht bis zur Sinnlosigkeit zu kürzen. Irgendwie kriegt er es fast trotzdem hin, und im typischen Bryson-Schreibstil.

Nick Hornby: More Baths Less Talking (5/5)
Auch ein bereits gelesenes Buch, das ich in zwei Tagen durchhatte. Nick Hornbys kurze Buchrezensionen funktionierten: Sie machten Lust aufs Lesen.

Philipp Kohlhöfer: Pandemien: Wie Viren die Welt verändern (5/5)
Man sollte meinen, nach zwei Jahren Corona hätte man keinen Bock mehr auf das Thema, aber das Buch lohnt sich. Weil es nicht nur um Corona geht, aber auch. Weil man danach eine ganze Menge mehr verstanden hat. Und weil es supergut und spaßig zu lesen ist, auch wenn man sich danach ständig die Hände waschen will.

Christine Cazon: Inspektor Duval-Serie, Band 1-9 (5/5)
Die Côte d’Azur-Krimis las ich von Ende April bis Ende Dezember, und das war genau die leichte Kost, die ich in dem Jahr gebraucht hatte. Die Krimis sind gut geschrieben (also sprachlich schön zu lesen), die jeweiligen Handlungen sind logisch und machen Sinn, die Background-Stories der wiederkehrenden Figuren sind nicht überladen und nicht überdramatisiert. Und man bekommt das Gefühl, einen authentischen Blick auf Südfrankreich zu bekommen, ohne dass der Lokalkolorit einem ständig mit dem Holzhammer übergezogen wird.

Carel van Schaik/Kai Michel: Die Wahrheit über Eva (3/5)
Dieses Buch hatte ich 2021 angefangen und es war mit ein Grund, warum ich über Wochen nicht zum Lesen kam, denn ich tat mich sehr schwer damit, wollte aber auch nicht aufhören, denn eigentlich interessierte es mich sehr… im Mai startete ich einen zweiten Anlauf und bekam es endlich durch. Das Urteil fällt mir etwas schwer: Klar, ein interessantes und auch wichtiges Buch, aber gerade deshalb hätte ich mir gewünscht, dass man das Ganze um 200 Seiten gekürzt und dadurch für mehr Leute lesbar gemacht hätte.

Dana Buchzik: Warum wir Freunde und Familie an radikale Ideologien verlieren – und wie wir sie zurückholen können (2/5)
Ein typischer Fall von „viel gelesen macht dich nicht automatisch zur Expertin. Auch wenn du das denkst“. Beide Versprechen des Titels werden im Buch nicht eingelöst: Weder wird schlüssig und im Detail erklärt, warum sich Menschen radikalisieren (alles bleibt altbekannt und an der Oberfläche), noch wird der zweite Teil in irgendeiner Weise hilfreich oder konkret. Schade, das Thema wäre wichtig gewesen.

Dirk Brockmann: Im Wald vor lauter Bäumen (4/5)
Eigentlich fand ich es spannend, teilweise mit Längen. Einziger wirklicher Kritikpunkt: Hier ist im Jahr 2022 ein weißer Mann, der es tatsächlich geschafft hat, noch kein einziges Mal über seine Privilegien zu reflektieren und denkt, so wie es ihm erging, könnte es allen ergehen. Und weil man ihm gegenüber Bahnen ebnete, hätten alle die gleichen geebneten Bahnen. Puh. Just for the record: Richard Feynman war ein misogyner Kotzbrocken, und wer ihn (im Jahr 2022!) anhimmelt wie ein Depp, der hat das Gehirn an dieser Stelle mal locker ausgeschaltet.

Verena Brunschweiger: Kinderfrei statt kinderlos (1/5)
Das hat sich mal gar nicht gelohnt, außer man will der Autorin 150 Seiten lang dabei zusehen, wie sie sich ein bisschen auskotzt. Dabei bin ich mit den Themen, die sie ärgern, teilweise durchaus einverstanden, aber der ganze Tonfall, das Aggressive und persönlich Angefasste ist anstrengend und bringt nichts für die Debatte. Also eigentlich ein unnötiges Buch. Außer halt für Verena Brunschweiger.

Wolfgang Schorlau: Kreuzberg Blues (3,5/5)
Klar, wo Schorlau drauf, steht bekommt man einen spannenden Krimi mit aktuellen politischen Bezügen, das war auch hier so. Allerdings dieses Mal dann doch mit einigen Schwächen: Die Handlung war etwas konstruiert, die Nebenfiguren teilweise unglaubwürdig, und alles ein bisschen zu gewollt „tagesaktuell“ und „kritisch“ und „investigativ“. Zu sehr bemüht, vielleicht ist das beim zehnten Krimi dieser Machart auch kein Wunder.

Kurt Krömer: Du darfst nicht alles glauben, was du denkst (5/5)
Man kann natürlich denken, was man will (haha) über einen Promi mit Haus in Berlin, Privatversicherung und eigener Nanny, der über seine Alkoholabhängigkeit und Depression schreibt. Aber ich war beeindruckt. Krömer ist nicht ohne Grund auf dem Cover nackt: Er macht sich buchstäblich nackig. Und er ist nicht blöd, er reflektiert durchaus über seine privilegierte Situation und wie diese ihm erleichtert hat, Hilfe in seiner Krankheit zu bekommen. Ihn aber nicht im Geringsten vor der Krankheit bewahrt hat, das ist halt auch die Wahrheit: Wer sagt „der ist doch reich und erfolgreich, was will der mit seinem Mimimi“, der trifft im Endeffekt die gleiche Aussage, die jede depressive Person schon gehört hat („dir geht’s doch gut, was stellst du dich denn so an?“).

Bonnie Garmus: Eine Frage der Chemie (3/5)
Natürlich las sich das Buch leicht und flüssig, und natürlich war der ganze Plot eigentlich nett und spannend. Aber insgesamt doch eher keine Empfehlung: Zu nervig und künstlich war die Hauptfigur, zu eindimensional die Charaktere, zu unglaubwürdig das Ende. Dazu dann noch ein hochbegabtes Kind und ein vermenschlichter Hund, und damit war dann die Schwelle zum Nervfaktor endgültig überschritten.

Kurt Krömer: Ein Ausflug nach wohin eigentlich keiner will (5/5)
Und das ist halt auch Kurt Krömer, Promi hin oder her: Jeder redet über Afghanistan, er weiß nichts drüber und fährt deshalb hin. Jeder hat eine Meinung zur Bundeswehr, er hat keine (so richtige) und besucht deshalb die Truppe. Und schreibt darüber, ohne irgendwie den Eindruck vermitteln zu wollen, er sei jetzt irgendwie „Experte“. Schon wieder: Ich war beeindruckt.

Achim Gruber: Das Kuscheltierdrama: Ein Tierpathologe über das stille Leiden der Haustiere (5/5)
Eine (für mich) völlig neue Perspektive auf eine leider altbekannte Problematik. Mal wieder ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass ich vielleicht beruflich etwas anderes hätte machen sollen. Nur hätte ich mich dabei permanent nur aufgeregt. (Also mehr als in meinem jetzigen Beruf.)

Alex Beer: Der zweite Reiter (5/5)
Das war für mich ein bisschen die Krimi-Entdeckung des Jahres. Wien, Zwischenkriegszeit, Mordermittlungen? Da passte einfach alles, angefangen bei der Hauptfigur August Emmerich. Das war der erste, aber sicher nicht der letzte Emmerich-Roman.

Frank Nischk: Die fabelhafte Welt der fiesen Tiere (4/5)
Eigentlich bekommt das Buch den einen Punkt Abzug nur deshalb, weil ich zwar noch weiß, dass das alles ganz interessant war und mich gut unterhalten hat, ich mich aber an quasi überhaupt nichts mehr erinnern kann. Könnte aber auch an mir liegen. (Doch, eine Sache weiß ich: Zum Buch gehören Sound-Dateien, mit denen man sich das krasse „Zirpen“ von irgendwelchen südamerikanischen Grillen anhören kann. Lustige Idee.)

Jen Gunter: The Menopause Manifesto: Own your Health with Facts and Feminism (5/5)
Natürlich ein sehr zielgruppenspezifisches Buch. Der Untertitel sagt schon alles und das Buch erfüllt dieses Versprechen voll und ganz. Einziges Manko: Es ist etwas zu sehr auf den amerikanischen Markt bezogen. Aber das liegt halt auch an mir, wenn ich es auf Englisch lese.

Wolfgang Wettstein: Der Fluch (4/5)
Das Buch hat einen gewissen Verwandten-Bonus bei mir, aber auch davon abgesehen: Gutes Setting und spannende Handlung mit logischer Auflösung. Ein bisschen zu sehr gewollt tiefgründig und zu konstruiert, die Nazi-Bezüge, deshalb einen Punkt Abzug.

James R. Doty: Das Alphabet des Herzens (2,5/5)
Das Buch ist etwas merkwürdig, denn die erste Hälfte ist durchaus überzeugend, diese Mischung aus autobiographischer Kindheitserzählung und fernöstlicher Philosophie. Aber dann gleitet das Ganze in eine wirklich etwas alberne Vom-Tellerwäscher-zum-Millionär-Geschichte ab, die mich am Ende doch ziemlich mit den Augen rollen ließ. Im Fazit doch eher anstrengend.

Alex Beer: Die Rote Frau (5/5)
…wie schön, auch der zweite Krimi der Reihe funktioniert, kein Fall von Zweitromanitis.

Hannah Gadsby: Ten Steps to Nanette (5/5)
Ich wusste ja nicht, ob ich – sehr begeistert von Nanette auf Netflix – mit der Autobiographie etwas würde anfangen können. Wie sich herausstellte, konnte ich, auch wenn ich nicht alle popkulturellen Bezüge verstand. War aber völlig egal.

Alex Beer: Unter Wölfen (2/5)
…schade. Gleiche Autorin, neue Krimireihe, anderes Setting: Und das funktionierte halt mal leider überhaupt nicht. Nicht nur war der ganze Plot unglaubwürdig, es war auch nicht gut geschrieben und phasenweise anstrengend zu lesen. Ich überlege noch, ob ich dem zweiten Band eine Chance gebe.

Isabel Bogdan: Der Pfau (5/5)
Nettes, lustiges, locker geschriebenes Lesevergnügen. Und kein Krimi.

Gail Honeyman: Eleanor Oliphant is Completely Fine (4/5)
Insgesamt hatte ich Spaß mit dem Buch, auch wenn die Handlung phasenweise schon sehr an den Haaren herbeigezogen war (man hilft einem verunfallten älteren Mann auf der Straße, und keine zwei Wochen später ist man mehr oder weniger in den Familienkreis aufgenommen, inklusive Geburtstagseinladungen und allem? Please) und das Ende zu kitschig. Das Buch lebt einfach von der titelgebenden Hauptfigur.

Zoë Beck: Paradise City (4/5)
Sehr spannend, sehr dystopisch, teilweise schon erschreckende Realitätsbezüge: Eigentlich hätte das ein richtig toller, beklemmender Thriller sein können. Und trotzdem war ich am Ende ein bisschen unglücklich. Denn die ganze Handlung läuft auf finstere Machenschaften, dunkle Hintermänner, die böse „Regierung“ heraus, die Leute um die Ecke bringt, damit ihre Gesellschaftskonstruktion nicht ins Wanken gerät. Das war einfach zu sehr aus der Verschwörungstheorie-Ecke bedient, und damit nicht nur ein bisschen …merkwürdig, sondern einfach auch ohne konsistentes, logisches Ende. „Die“ waren es – das finde ich als Auflösung etwas zu wenig.

Yrsa Sigurdardóttir: Todesschiff (5/5)
Schau mal an, ein Skandinavien-Krimi, und dann auch noch aus Island, und trotzdem schwimmt er nicht einfach auf der Welle mit, sondern ist spannend, clever, glaubwürdig und sprachlich fein.

Ulrich Woelk: Der Sommer meiner Mutter (4,5/5)
Eigentlich ein schönes, trauriges, mitnehmendes Buch, auch wenn, vom Autor vermutlich unbeabsichtigt, ich die weibliche Hauptfigur (…nicht die Mutter) unfassbar nervig fand. Ein richtig farbiges Gemälde der Bundesrepublik Ende der Sechziger Jahre.
…wenn da nicht das dämliche letzte Kapitel gewesen wäre. Die Geschichte war auserzählt, da hätte es keinen Sprung in die Jetzt-Zeit gebraucht und keine blöden Sternen-Metaphern. Trotzdem sehr gern gelesen.