Um kurz vor acht aus dem Bett gewälzt, sehr müde (es wird super mit dem Aufstehen, wenn der Urlaub mal vorbei ist). Außerdem wie seit Tagen schon Schmerzen in den Fingern, den Zehen, den Beinen (wie ein Muskelkater) und ein furchtbar verspannter Nacken. Draußen zeigte sich wenigstens endlich einmal ein blauer Himmel. Allerdings war es sehr stürmisch, so sehr, dass ich morgens auf der Dachterrasse den (zugeklappten) Sonnenschirm auf den Boden legte und die Schutzplane über den Balkonmöbeln noch etwas mehr befestigte. Das half, den ganzen Tag wehte es zwar ordentlich weiter, aber wir hatten keine weggeflogenen Gegenstände zu verzeichnen.
Vormittag am Esstisch, ohne Zeitung (keine Lust auf Nachrichten, die Mischung aus Katastrophen und Sommerloch-Quatsch macht mir exorbitant schlechte Laune, da bleibe ich lieber beim Guardian, der kennt kein Sommerloch), auch ohne Fußball, das sollte erst mittags kommen. Stattdessen las ich mich ein bisschen durchs Internet und schrieb dann ein paar Blogeinträge. Der Liebste machte uns währenddessen ein „Protein-Porridge“, also ein normales Porridge mit Hafermilch, Haselnüssen und Banane, in das er zwei Teelöffel Vanille-Proteinpulver gerührt hatte. Wurde dadurch flüssiger und leicht puddingartig, schmeckte aber gar nicht schlecht – es erinnerte mich ein bisschen an so Instant-Babybrei. (Merkwürdig, wie sehr man den Geschmack von Babybrei im Kopf hat.)
Neben Essen und Schreiben noch ein paar hausbezogene Dialoge: Wir denken über eine Balkon-Solaranlage nach (die dann vermutlich trotzdem aufs Dach käme, aber mit unserem Zählerkasten kompatibel wäre, im Gegensatz zu einer normalen PV). Alles nicht ganz so einfach und es gibt noch viel zu bedenken, aber nach ein bisschen Reden und ein bisschen Sachen anschauen und überlegen schrieben wir auf jeden Fall mal eine Mail an die Vermieterin. Mal sehen, was sie sagt.
Um halb zwölf ins Bad, dann aufs Sofa: Das letzte Gruppenspiel der deutschen Mannschaft bei der WM. Tja, und was soll ich sagen: halt leider auch das allerletzte, denn weil Kolumbien es nicht hinkriegte, gegen Marokko zu gewinnen, flog Deutschland als Gruppendritter leider raus. Sehr schade. Spannendes Spiel, aber auch hier wieder eine Mannschaft, in diesem Fall Südkorea, die ein Tor erzielte und sich dann mit neun Leuten hinten reinstellte und dadurch das Spiel komplett zerstörte. Das Parallelspiel Marokko-Kolumbien sahen wir nicht, aber ich vermute, dass es dort ähnlich war. Das ist einfach als Zuschauer:in unattraktiv anzusehen und hilft dem Sport nicht wirklich. Und ich weiß, ich weiß, eine Spitzenmannschaft muss gegen solche extrem defensiven Mannschaften auch ein Rezept finden, aber das ist kein Argument für diese Spielweise. Zumal das deutsche Team ja auch extrem viele Torschüsse hatte, das Spiel fand mehr oder weniger nur in einer Hälfte statt. (Und dann ein extrem knappes Abseitstor und ein Lattentreffer und überhaupt.)
Nach dem Spiel war bei uns die Laune erst einmal so ein bisschen mäh, beim Liebsten fast noch mehr als bei mir, er verschwand ein bisschen vor seinem Laptop. Ich hatte eigentlich geplant, ins Fitness zu gehen, aber irgendwie war mir nicht so danach. Wahrscheinlich wäre es schlauer gewesen, trotzdem zu gehen, aber oh well. Stattdessen ging ich mit Laptop aufs Sofa, war ein bisschen auf Mastodon und YouTube unterwegs, und dann war es halb vier und es war für Fitness ein bisschen zu knapp. Stattdessen ging ich nach oben und machte 35 Minuten Yoga mit Adriene, seit langem einmal wieder. Das war dann auch ausgesprochen gut.
Sachen zusammenpacken, Ticket ausdrucken (dabei gleich nach meinem Elster-Zertifikat schauen, weil die Steuererklärung ansteht – passt alles noch), und um kurz nach fünf machten wir uns auf den Weg zum Bahnhof: Wir hatten am Abend Konzertkarten in der Nachbarstadt. Eigentlich hätten wir um halb sechs erst losfahren wollen, aber beim momentanen Zustand der Bahn ist es immer eine gute Idee, mit reichlich Puffer zu planen, und so war es auch dieses Mal: Als wir am Bahnhof ankamen, stand dort ein Zug, der eigentlich längst hätte weg sein sollen, vollbesetzt mit Leuten. Wir stellten uns dazu (nur noch Stehplatz auf dem Gang), standen noch einmal 8 Minuten im Bahnhof herum, dann fuhren wir im Jogger-Tempo bis in die Nachbarstadt und waren um Viertel vor sechs schließlich da. (Normalerweise braucht der Zug für die Strecke 9 Minuten.)
Es ist nicht nur unfassbar, wie kaputt die Bahn ist, es ist auch bizarr, wie schnell man sich darauf einstellt wie in so einem Entwicklungsland: Man geht einfach irgendwann zum Bahnhof (Fahrpläne gelten eh nicht mehr), man nimmt den nächstmöglichen Zug, man plant das Doppelte an Zeit ein, und man weicht so oft wie möglich auf andere Verkehrsmittel aus. Es ist ein Trauerspiel.
Zunächst gingen wir zum Abendessen ins Nepomuk, 4 Minuten vom Bahnhof entfernt und direkt neben der Konzertlocation. Vor ziemlich exakt einem Jahr (am 20.7., um genau zu sein), waren wir das letzte Mal dort gewesen, und auf das Seitangyros mit Pommes und Chilisauce freute ich mich jetzt schon wieder. Zurecht: Es war wieder ganz ausgesprochen gut. Wir saßen drinnen (immer noch sehr windig, wenig Sonne, ungefähr 21 Grad), aßen super, noch ein Espresso danach, und dann gingen wir um sieben zum Gelände nebenan aufs Konzert.
Etwas blöd allerdings, dass wir beide ein bisschen vergessen hatten, dass das Konzert auf einem Open-Air-Gelände war. Ich hatte mir noch eine Strickjacke und eine Windjacke eingesteckt, brauchte recht bald auch beides, aber der Liebste war den ganzen Abend kurzärmlig unterwegs. Das war dann am Ende doch etwas frisch.
Nun ja, auf jeden Fall Konzert: Wir waren bei Tina Dico, einer dänischen Singer-Songwriterin, von der ich bis jetzt gelegentlich etwas gehört hatte, aber so eine richtige Vorstellung hatte ich nicht. Als Support Act Nicklas Sahl, ebenfalls aus Dänemark. Das Gelände war neben dem Franz.K, mit alten Schiffscontainern aufgebaut und als „Echazhafen“ etwas überambitioniert betitelt (das Sommerfestival heißt dementsprechend auch „Hafensounds“, alles ein bisschen lustig, auf der Echaz könnte höchstens ein Ruderboot fahren). Es war aber insgesamt ausgesprochen nett, nicht zu groß (vielleicht Platz für 300 oder 400 Leute), schlau aufgeteilt mit Crèpestand und Cocktailbar und Getränkestand und einer Toilette, die in einen Frauenbereich und einen All Gender-Bereich aufgeteilt war, was ich ausgesprochen interessant fand. Wir holten uns erst einmal einen Aperol Spritz und trafen dort auf einen Bekannten des Liebsten aus dem Bastelverein, mit dem er erst am Morgen noch (wegen PV-Anlage und Steckdosen und was weiß ich) Kontakt gehabt hatte. Hätte ich mir ja denken können, dass wir auch in der Nachbarstadt Leute treffen, die wir kennen. Im weiteren Abend sahen wir noch einen Künstler, bei dem ich schon auf Konzerten gewesen war und den der Liebste kannte, einen Fotograf, der mit meinen Chefs befreundet war und bei uns in der Firma schon mehrfach Fotos gemacht hatte (und also auch mich schon mehrfach fotografiert hatte), sowie die Frau des Besitzers vom veganen Imbiss bei uns im Viertel. Nicht dass es mich gestört hätte, dass ich Leute kannte (die waren alle sehr nett und so), es war eher witzig.
Das Konzert startete wie gesagt mit Nicklas Sahl, und das war schon einmal ein wirklich schöner Start, gute Songs, tolle Stimme, sehr sympathischer junger Mann. Nur… wie das halt bei diesen einsamen Menschen mit Gitarre auf der Bühne so ist: Die Songs wurden irgendwann so ein bisschen… eintönig, bei jedem Lied more of the same. Trotzdem gefiel mir der Start ausgesprochen gut, ich denke, dass Nicklas Sahl eine Menge Potential hat, sich musikalisch weiterzuentwickeln, und wenn er eine Band bei sich auf der Bühne hätte, wäre das vermutlich auch noch etwas abwechslungsreicher. Das Publikum war von ihm auch recht angetan, klatschte mit und so, und das war kein schlechter Start.
Tina Dico ging dann ziemlich in die gleiche Richtung, mit (fantastischer) Stimme und Gitarre allein auf der Bühne. Man merkte, dass die Songs insgesamt ausgereifter waren, sie erinnerte mich musikalisch an eine frühe Jewel (vor allem an das Album Pieces of You). Das war schon wirklich sehr schön anzuhören, aber auch hier: Es war für mich ein bisschen zu viel vom gleichen, ein bisschen zu sehr melancholisch und getragen und wenig Abwechslung. Die langen philosophischen Erzählungen zwischen den einzelnen Liedern hätte es meiner Meinung nach auch nicht so gebraucht (ehrlicherweise waren die Laberphasen aber auch ein bisschen dafür da, währenddessen die Gitarre zu stimmen, durch den Wind und die rapide nachlassende Temperatur verstimmten sich die Instrumente ständig wieder).
Was lustig war, waren Teile des Publikums: Neben so mittelaltem, gemischtem, unauffälligem Publikum (so wie halt der Liebste und ich) gab es auch ein paar leicht verratzte, angetrunken aussehende Typen, die mit Kippe und Bierflasche ganz hinten standen und immer wieder Zeugs nach vorn auf die Bühne riefen, und ich dachte mir schon, was ist mit euch falsch gelaufen, bis mir klar wurde, das sind keine betrunkenen Störenfriede, das sind eher so… Superfans. Speziell einer stand schräg hinter uns und rief immer wieder „Count to ten! Count to ten!“ nach vorn, bis die Sängerin in seine Richtung lächelte und ein Lied spielte, das offensichtlich Count to ten hieß und von ihm völlig begeistert mitgesungen wurde. Boygroups haben halt kreischende Teenies als Fans, Tina Dico offensichtlich leicht verratzte Männer Anfang fünfzig. Machte eine interessante, aber angenehme und nicht unfreundliche Atmosphäre.
Das Konzert endete um Punkt zehn, nachdem Tina Dico noch ihren Mann auf dem Handy angerufen und mit ihm mit Hilfe des Mikros ein Duett gesungen hatte (ich hatte schon gelesen, dass sie das wohl öfter macht, wenn ihr Mann, auch Sänger, nicht auf Tournee mit dabei sein kann), und wir machten uns auf den Heimweg. Ich holte mir vorher allerdings noch bei Nicklas Sahl eine CD für fünfzehn Euro. Er hatte mir tatsächlich fast sogar ein bisschen besser gefallen als der eigentliche Hauptact, und die CD war vielleicht ein bisschen unnötig, aber andererseits kriegt man sie halt auf dem normalen Markt nicht so einfach. Nächstes Jahr hat er wieder Auftritte in der Region (dann allein), mal sehen, ob wir da hingehen.
Auf jeden Fall fuhren wir dann mit dem Zug zurück, wie auf der Hinfahrt: Der eigentliche Zug war mit 20 Minuten Verspätung angekündigt, stattdessen stand da ein Zug rum, der vor zehn Minuten schon hätte fahren sollen, egal, wir stiegen ein, zwar eher S-Bahn als Zug, aber trotzdem 10 Minuten früher als mit dem „schnellen“ (verspäteten) Zug daheim. Man wundert sich ja über nichts mehr, und wir waren froh, zu einer „anständigen“ Zeit trocken ins Bett zu kommen.