Kleine Diskussion am Morgen mit Magi, der mir mal wieder (nachdem er es sich eigentlich schon abgewöhnt hatte) mit der Pfote auf den Kopf tatschte, worauf ich ihn zum Liebsten rüberschob, worauf er dem Liebsten auf den Kopf tatschte, worauf der Liebste ihn aus dem Bett komplimentierte. Logischerweise waren wir dann alle wach, und da es Viertel nach sechs war, standen wir auf. Erst einmal Aufräum- und Saubermach-Runde, die Katzen wollten gefüttert werden, beide Katzenklos waren benutzt worden, und das Katzenfutter vom gestrigen Einkauf stand auch noch da. Nebenher Tee kochen, Wohnzimmer aufräumen, und weil ich schon dabei war, räumte ich noch alle Sachen aus dem Gefrierschrank in eine Kiste und stellte sie auf den Balkon (wenn es schon Minusgrade hat), damit er abtauen konnte. Angeblich brauchen die modernen Kühl-/Gefrierschränke kein Abtauen mehr, aber bei unserem gehen die Schubladen fast nicht mehr zu vor Eis. Ich entdeckte bei der Gelegenheit noch eine angebrochene und nach hinten gerutschte Packung Schnittlauch und eine weiße Box mit vermutlich irgendeinem eingefrorenen und nicht beschrifteten Essen. Immer wieder spannend.
Tee, englisches Frühstück dieses Mal ohne Tofuwurst, da die selbst gemachte Wurst zum Mittagessen wartete, dafür mit Baked Beans zu den Pilzen und dem Toast. Dann las ich ein bisschen im Internet herum, während Harold das Wohnzimmer saugte, und stellte mich schon auf einen ereignislosen Sonntag ein, aber dann fand ich einen Termin beim Googeln. Und zwar war es so, dass ich etwas unzufrieden war, dass wir am Samstag nicht in Stuttgart auf der großen Demo gegen rechts gewesen waren – wir hatten zwar rechtzeitig davon gehört, aber es hätte einfach sehr schlecht gepasst mit dringendem Einkaufen und allem. Andererseits, was ist schon Einkaufen, wenn es darum geht, dass die Zivilgesellschaft aufsteht und Farbe bekennt? Beim Googeln las ich, dass am heutigen Sonntag in Stuttgart eine zweite Demo geplant war, und überlegte ein bisschen… eher relativ spät am Nachmittag, das würde nur so halb gut passen, wäre aber schon möglich, andererseits ist Stuttgart halt schon nicht so ums Eck, und die Züge sind so unzuverlässig… und dann las ich, dass auch in der Nachbarstadt am Mittag eine Demo und Kundgebung angekündigt war. Das war mit dem Zug nur eine knappe halbe Stunde, außerdem habe ich zur Nachbarstadt noch mehr Verbindungen. Und dazu finde ich es ehrlich gesagt mindestens genauso wichtig, wenn gerade auch in den eher konservativen, eher ein bisschen miefigen schwäbischen Kleinstädten die Leute auf die Straße gehen. Da muss man den braunen Demagogen gerade besonders entgegentreten.
Kurz mit dem Liebsten beraten – er war müde und leicht verkatert, wir beschlossen also, dass er daheim bleiben und restlichen Haushalt (Erdgeschoss wischen und ein paar Maschinen Wäsche und Gefrierschrank auswischen und einräumen und so) erledigen würde, während ich zum Demonstrieren fuhr (Rollenverteilungen auflösen, auch das in sich schon ein Statement gegen die AfD). Ich ging duschen, packte mich dann sehr warm in drei Schichten Kleidung – die Wetterapp sagte am Nachmittag acht Grad plus voraus, aber ich glaubte ihr nicht, zum Glück, wie sich herausstellte – und marschierte um halb zwölf los zum Bahnhof, mit Banane in der Hand als Notfallration, da das Mittagessen warten musste. Ticket am Automaten ziehen (die App des Verkehrsverbunds ist im Eimer und erlaubt immer noch keinen Ticketkauf übers Handy), in den schon dastehenden Regionalzug hüpfen, und eine Minute später fuhren wir los. Absolut perfektes Timing.
Der Zug war sehr gut voll, auf den Zwischenhalts stiegen überall noch mehr Leute ein, und wie aus den vielen Plakaten, den Gesprächen und mitgehörten Telefonaten klar wurde, hatten alle das gleiche Ziel („ha Ulla, i hock em Zug! Wo bisch du? I gang zur Demo! Zur DE-MO! Kommsch au?“).
Am Endbahnhof ergoss sich ein ganzer Strom Leute in Richtung Stadthalle (wo der Demozug starten sollte), ich ließ mich einfach mittreiben (sehr nett übrigens der Mensch von der DB, der dort mit Weste stand und eigentlich suchenden Fahrgästen den Weg zum SEV zeigen sollte, uns aber alle sehr freundlich anlächelte und jedem froh zunickte, der ihn da stehen sah).
SEHR viele Leute. Klar, nicht so viele wie in Stuttgart am Samstag oder gar Hamburg am Freitag, aber wir reden hier von einer Kleinstadt in der Provinz, und es waren am Ende geschätzte 6000 Leute (wurde auf der Kundgebung durchgegeben), das war schon sehr beeindruckend. Auf den kleinen Marktplatz passten bei weitem nicht alle drauf. Viele gute Plakate, viel Wortwitz, viel Kreativität, insgesamt ausgesprochen gute Stimmung, und vor allem: ein extrem großes Spektrum an Menschen, Kinder und Eltern, junge Menschen, viele, viele Leute in meinem Alter, Rentner, alles da. Sehr viele Gruppierungen auch, wie man an den vielen Fahnen und Schildern erkennen konnte, ich sah den Frauenverband Courage, Omas gegen rechts, „Ciclista Antifascista“, Gewerkschaften und Parteien sowieso (GEW und Verdi konnte ich sehen, SPD und Grüne waren stark vertreten).
Um zwei ging ich wieder in Richtung Zug, nachdem ich den größten Teil der Redner gehört hatte (den letzten ließ ich weg, weil ich Sorge hatte, dann in einen überfüllten Zug zu kommen). Wie auf der Hinfahrt passte das Timing perfekt, Fahrkarte ziehen, eine Minute bis Abfahrt, alles ohne vorher nach Abfahrtszeiten geschaut zu haben. Und der Zug war pünktlich, die Bahn zeigte sich (überraschend genug) von ihrer positiven Seite. Auch die beiden Fahrkartenkontrolleur:innen im Zug waren nett (zum Glück hatte ich den Fahrkartenkauf nicht ausgelassen). Auf dem Heimweg war ich zwar durchgefroren, acht Grad plus von wegen, aber froh, dass ich gegangen war und so ein ganz kleines bisschen mit dem Gefühl, dass das alles, dieses Aufstehen, vielleicht etwas bewirkt haben könnte.
Um drei daheim – der Liebste hatte wie besprochen den Haushalt erledigt, mit dem Mittagessen netterweise aber gewartet, er machte es gleich heiß. Restliche Bratkartoffeln und Zeugs also, und danach legte ich mich mit einem Krimi und einer Tasse Earl Grey unter die Decke aufs Sofa, mit dem Gefühl, jetzt tatsächlich, also tatsächlich, etwas getan zu haben und vielleicht ein bisschen abschalten und lesen und rumkruschteln zu können. Und genau das tat ich dann für die nächsten drei Stunden. Während der Liebste den gekauften Filoteig, Pistazien, den restlichen Honig und das Orangenblütenwasser einsetzte und eine wundervolle Backform voller Baklava machte.
Am Abend schrieb ich dann noch ein paar Gedanken zusammen, die ich in den letzten Tagen so gehabt hatte, während der Liebste uns ein grünes Thai Curry zum Abendessen machte (wir meinen es ernst mit dem Aufbrechen der Rollenverteilung). Und dann Essen, Katzen kraulen und der zweite Knives-Out-Film, Glass Onion, der so ein Netflix-Hit geworden ist. Wieder sehr gut, sehr unterhaltsam und alles. Allerdings gefiel mir der erste Film fast noch besser, da fand ich die Story zugänglicher und weniger abgedreht. Aber insgesamt auch hier große Empfehlung, wir gingen beide sehr zufrieden ins Bett.