Von Hennen und Hähnen

Vor einiger Zeit, als ich noch auf Facebook war, die frohe Nachricht in meiner Timeline: Alnatura bietet jetzt Bruderküken-Eier an! Eifrig wurde die Alnatura-Pressemitteilung geteilt und viele meiner Facebook-Kontakte waren SO froh, jetzt endlich, endlich etwas gegen die armen, geschredderten Küken tun zu können, denn Kükenschreddern, das weiß man, ist mit dem bewussten Nahrungskonsumenten nicht zu machen. Geht einfach nicht. Wo die doch so flauschig sind.
Ich erlaubte mir dann bei einer Freundin im Kommentar vorsichtig anzumerken, dass sich mir der Sinn nicht wirklich erschließt, ein Tier vor dem Tod im Häcksler zu bewahren, nur um ihm wenige Wochen später, kopfüber aufgehängt, mit einem rotierenden Messer den Hals durchzuschneiden. Inwiefern ist das besser? Haushühner hätten – so man sie denn leben ließe – eine Lebenserwartung von 5-9 Jahren. Als Masttier gehaltene Hühner werden nach vier bis 12 Wochen getötet, im Biobereich eher etwas später, aber auf  jeden Fall noch weit vor der Geschlechtsreife. Meine unschuldige Frage war also: Was genau ist denn daran „besser“, ein Tierkind (denn nichts anderes sind es) nach wenigen Wochen zu töten als direkt nach dem Schlüpfen? Eine wirkliche Antwort konnte die Freundin (und andere mitschreibende Personen) mir darauf nicht geben. Aber dem Tier ginge es doch so gut, Alnatura garantiere doch ein artgerechtes Leben. Nun ja, auf die „aber Bio ist doch viel besser, weil es den Tieren gut geht“-Diskussion wollte ich mich nicht einlassen. Jeder der möchte, kann wissen, dass auch die Biohaltung ein hohes Potential an Tierqual beinhaltet, die Tiere einem Profitinteresse unterworfen sind, und am Ende ein sehr früher Tod steht. Für mich war wirklich die Frage zentral: Warum denken Menschen, sie würden etwas Gutes tun, den Tieren „helfen“, wenn sie ihnen einige Wochen Leben und einen unschönen Tod im Schlachthof zugestehen, statt dass sie am ersten Lebenstag getötet werden? In einem Verfahren, dass zwar absolut geschmacklos, aber kein bisschen grausamer ist als die Schlachtung, die nach maximal 3 Monaten den Masthähnchen (und nach einem Jahr den Legehennen) bevorsteht.
Wie gesagt konnte man mir darauf nicht wirklich eine Antwort geben. Im Gegenteil löste meine Frage eher Verwirrung aus. Irgendwie war es doch „klar“, war es doch „logisch“, dass die Bruderküken-Initiative eine ganz, ganz tolle Sache war und die Unterstützer richtig viel Lob und Schulterklopfen verdient hatten, statt kritischer Nachfragen! Schließlich waren sie sogar bereit, für die Bruderküken-Eier mehr zu zahlen, allein das sollte sie doch über jegliche Kritik erhaben machen? Im Kaufpreis war das eigene Gutfühlen quasi schon mitbezahlt und wurde nicht hinterfragt. Bruderküken sind super, viel besser als das Kükenschlachten, weil halt.
Ich habe dann selbst ein bisschen hin- und hergedacht und mir mehrere Kommentare auf verschiedenen Seiten durchgelesen und habe einen Verdacht, woher die absolute Empörung gegenüber dem Kükenschreddern kommt. Teilweise hängt das natürlich damit zusammen, dass wir Küken einfach putzig finden und man sie eigentlich sofort knuddeln und über die Flaumbälle lächeln möchte. Dann ist die Tötungsmethode des Schredderns (teilweise wird auch mit CO2 erstickt)  natürlich nichts, was man sich vorstellen will. Ein Großteil der Empörung rührt auch sicher daher, dass viele Menschen in Deutschland davon einfach nichts wussten und in aller Naivität davon ausgingen, dass bei den Hühnern die Hennen die Eier legen und die Hähne in die Pfanne kommen. Die Praxis des Kükenschredderns ist seit vielen Jahren gang und gäbe, aber bis vor einigen Jahren hatte man von Hochleistungshühnern, Hybridhühnern und ähnlichem in der breiten Presse kaum etwas gelesen.
Ein Hauptgrund für das Unbehagen ist meines Erachtens aber ein anderer: Da züchtet man Tiere, um sie zu nutzen, nimmt sie als Nahrungsmittel, und dann schmeißt man 50% davon einfach weg? Dann doch lieber das Tier „aufziehen“ und dann später schlachten, damit es auf dem Teller landen kann. Denn dadurch bekommt sein Tod ja einen „Sinn“, ist es nicht „nutzlos“ gestorben. Der Verzehr durch den Menschen hat das Masthähnchen sozusagen „geadelt“, hat es seiner „Bestimmung zugeführt“.
Und das ist auch der Hauptgrund, warum ich all die Bruderhahn- und Bruderküken-Initiativen für eine sehr fragwürdige Sache halte. Denn wir Menschen sind nicht Gott. Der Tod von anderen Lebewesen bekommt keinen höheren „Sinn“, weil wir ihn entscheiden und herbeiführen. Der Tod eines gezüchteten, ausgenutzten und geschlachteten „Nutztier“-Huhns ist immer sinnlos. Wir machen ihn mit dieser anthropozentrischen Sichtweise kein bisschen besser, und für das Tier kein bisschen weniger erträglich. Wer Hühnern wirklich helfen will: Der lässt sie komplett in Ruhe.