Neujahrsgedanken, Samstag 1.1.2022

Um halb neun aufgewacht, ziemlich matschiger Kopf. Ich fühlte mich, als hätte ich den Abend davor gesoffen, dabei hatte ich nur ein Glas Rotwein gehabt – aber ins Bett gehen außerhalb des üblichen Rhythmus reicht ja schon für einen ordentlichen Kater, wenn man über 40 ist, haha. Nerv. Immerhin hatte ich kein Kopfweh, auch wenn der Kopf sich nur so anfühlte, als würde er Anlauf nehmen. Der nette Kater unseres Haushalts war währenddessen wach und zufrieden, schaute sich die Amseln auf dem Balkon an und schien durch die Silvesternacht keinen Schaden genommen zu haben, zumindest weniger als ich mit meinem Matschkopf.

Das blieb auch den restlichen Tag über so – zwar keine Kopfschmerzen, aber ich war einfach müde und wie durchgekaut, die Achillessehne tat ordentlich weh und irgendwann begann es auch im Kreuz zu zwicken. Deshalb entschied ich mich gegen Yoga und für einen kompletten Ruhetag. Zum Frühstück etwas Toast und Orangensaft, dann beschäftigte ich mich den restlichen Vormittag mit Fotos vom Wochenende, Schreiben und Lesen. Irgendwann zog ich mich aufs Sofa zurück und beendete meine Twitterpause. Dort findet man immer noch genau die gleiche Mischung aus Gemotze, Besserwisserei und Doomsday-Vorhersagen, alles ziemlich austauschbar. Dass ich eine Woche weg war, merkte ich quasi gar nicht – könnte auch noch mal eine Woche wegbleiben. Mache ich vielleicht auch.

Mittags die zweite Hälfte Krautnudeln, Vanillequark als Nachtisch. Später etwas Espresso und Schokolade. Ich ging ausführlich duschen und tauschte dann im ganzen Haus die Kalender aus. Dann ein bisschen weiter im Internet, und damit war der Nachmittag dann auch rum. Da ich mir für den Tag nur vorgenommen hatte, ein bisschen Blog zu schreiben und mich um die Kalender zu kümmern, war das auch okay.
Der Liebste kümmerte sich um das Abendessen: vegane Maultaschen, in Streifen geschnitten und mit einer Stange Lauch und einem Räuchertofu zusammen angebraten. Sehr lecker, aber etwas wenig, deshalb Chips danach. Ich schenkte mir dazu ein Glas Grünen Veltliner ein und wir verbrachten den kurzen Abend auf der Raumstation. Sehr ereignisloser Tag, aber nicht der schlechteste Start ins neue Jahr.

Überhaupt, das neue Jahr. Ich wehre mich ja seit Jahren dagegen, zum Jahreswechsel Bilanz zu ziehen (und bin doch eigentlich eine unermüdliche Bilanziererin, Listenschreiberin, Datensammlerin), möchte das neue Jahr nicht druckaufbauend als Neustart verstehen. Und kann mich dem Gefühl dennoch nicht entziehen. Ich war allerdings selten so ratlos wie zu diesem Jahreswechsel. Das vergangene Jahr war, das kann man so pauschalisierend wohl sagen, insgesamt kein wirklich gutes. Privat ging es mir gesundheitlich zwar deutlich besser als 2020, aber trotzdem reiht sich eine Baustelle an die andere und ich habe das Gefühl, ich arbeite ständig daran, überhaupt den Status Quo zu halten. Dann das Home Office, die wenigen Sozialkontakte, Anfang des Jahres zog der Lieblingsmensch nach Berlin und fehlt hier sehr, zum Herbst startete der Liebste seine neue Stelle und ist seitdem nur noch wenig daheim – die äußeren Umstände erodieren schleichend, und ich sehe wenig Ansatz zur Verbesserung, ärgere mich dabei über mich selbst.
Beruflich immerhin war das Jahr anstrengend, aber erfolgreich, mit einer Umorientierung im QM-Bereich gibt es ein paar neue Arbeitsperspektiven, und ein verantwortlicher Teilbereich konnte auch (endlich) an die Kollegin übergeben werden. Zum neuen Jahr habe ich meine Stunden ein klein wenig reduziert, mal sehen, wie sich das auswirkt.

Und dann gesamtgesellschaftlich: Ach, ach. Sämtlicher Optimismus, sämtliche Aufbruchsstimmung erscheint mir mittlerweile als Naivität. Zwar kann ich eine oft beschriebene „Spaltung der Gesellschaft“ nicht wirklich erkennen, eher hat eine laut schreiende, egoistische Minderheit die große Mehrheit in eine Art Geiselhaft genommen. Aber es ist erschreckend, als wie wenig wehrhaft sich unsere Gesellschaft und unser Staat erweist, als wie schwankend und unentschlossen und irrational sich politisches Handeln darstellt (und beinah faszinierend, wie schnell die Ampel in sie gelegte Erwartungen gedämpft hat). Ich merke jetzt, nach über einem Jahr Impfmöglichkeit und 22 Monaten Pandemie, wie meine Toleranz verschwunden ist, meine Bereitschaft, den Dialog offen zu halten bei offensichtlichen Quatsch-Argumenten und offensichtlichem Unwillen zur Solidarität. Ich hätte es mir vor zwei Jahren nicht träumen lassen, aber natürlich brauchen wir eine Impfpflicht, genauso wie wir spätestens im Herbst 2020 (!) einen harten Lockdown gebraucht hätten und genauso wie wir viel konsequenter Schulen hätten schließen und Firmen zum Home Office hätten verpflichten müssen. Und narzisstischen OB’s ihre unsäglichen Modellversuche hätten verbieten müssen, überhaupt die Alleingänge, die Stunde der Großmäuler und Wichtigtuer, es war teilweise unerträglich. Insgesamt hat es einfach am politischen Willen auf Landes- wie auf Bundesebene gefehlt, rational und langfristig zu handeln und zu führen.

Und das macht mir große Sorgen, denn: Die wirkliche Krise, die große Krise, ist längst da, ist spätestens seit der Flutkatastrophe im Sommer mitten in Deutschland angekommen. Ich denke (hoffe), dass wir jetzt im neuen Jahr aus der Pandemie herauskommen werden (mit einigem zerschlagenen Porzellan und einigen Kollateralschäden, aber vermutlich ohne bürgerkriegsähnliche Zustände), ich denke auch, dass die Ampel einige Entscheidungen treffen wird, die unserer gesellschaftlichen Entwicklung gut tun und den Stillstand der 16 CDU-Jahre in einigen Bereichen beenden. Aber was die Bewältigung der Klimakatastrophe angeht, bin ich durch die Pandemie ausgesprochen pessimistisch geworden. Wenn wir es als Land nicht einmal hinbekommen, eine Pandemie zu beenden, obwohl es durch die Impfung medizinisch möglich wäre, wie wird das werden, wenn alle wirklich von Schäden betroffen sind und alle wirkliche Opfer bringen müssen? Für das nächste Jahrzehnt wage ich keine Prognose, aber froh gestimmt bin ich nicht.