Vogelbesuch, Freitag 2.9.2022

Am Morgen zu einem sehr hungrigen Kater aufgewacht, der extremst ungeduldig durchs Schlafzimmer raste, bis wir endlich aufstanden, dann sein Frischfutter innerhalb kürzester Zeit inhalierte, vom danach angebotenen Trockenfutter auch einen Happs nahm und schließlich nach draußen verschwand. Nun sollte ich mich über ein hungriges und agiles Tier ja freuen, aber ich wäre nicht ich, wenn ich mir nicht trotzdem Gedanken machen würde wegen dieses charakteruntypischen Verhaltens. (So im Sinn von: Vielleicht hat er ja heute Nacht gekotzt und der Magen war leer, weswegen er jetzt dringend was brauchte, und rausgerannt ist er, weil er vielleicht Durchfall hat => also wohl ein Magen-Darm-Virus, ach so aber dann hätte er wohl kaum Appetit, na egal.)

Ein recht ruhiger Morgen mit dem frisch gebackenen Brot zum Frühstück, dazu machten wir den veganen Exquisa auf, sehr gut. Mit der Ruhe war es allerdings vorbei, als der Liebste um kurz vor acht los wollte, dabei seinen Schlüsselbund mit Büro- und Fahrradschlüssel nicht fand und zunehmend gereizt und vor sich hin schimpfend sämtliche Taschen und Jacken und sonstige Ecken durchsuchte. Ich half irgendwann mit und suchte in den gleichen Jacken und Ecken noch einmal, vor allem weil ich mich daran erinnern konnte, ihn am Vorabend irgendwo liegen gesehen zu haben, und sowas macht mich ja immer wahnsinnig. Nach viel Gesuche und extrem schlechter Laune war der Liebste schon dabei, sich aus Ersatzschlüsseln einen neuen Schlüsselbund zusammenzustellen, als er doch noch einmal in die Arbeitstasche schaute, und dort war der Schlüssel in einem Seitenfach. Falsches Fach und ziemlich nach unten gerutscht, aber trotzdem die gleiche Tasche, in die er schon mehrfach geschaut hatte.
(Keine Häme von meiner Seite: Ich habe es schon einmal geschafft, meine Sonnenbrille zu verlieren und eine Woche lang zu suchen, nur um sie dann in meinem Rucksack wieder zu finden. Den ich natürlich die gesamte Woche für die Arbeit benutzt hatte.)

Der Liebste fuhr also los, ich ging duschen und war um kurz vor neun am Schreibtisch. Da mein Freitags-Einzelunterricht noch im Urlaub war und ein möglicher Beratungstermin sich nicht mehr gemeldet hatte, hatte ich einen ruhigen Vormittag, den ich mit der Zeitabrechnung für August und dann mit Vorbereitung für die nächste digitale Prüfung verbrachte (ein paar Teilnehmende ließen sich viel Zeit mit der Anmeldung und mussten deshalb mehrfach gebeten werden, mit den Koordinator:innen des Sprachzentrums der Hochschule gab es ein bisschen E-Mail-Dialog über den aktuellen Stand…). Gegen halb elf begann mir so derart der Magen zu knurren, dass ich mir eine Scheibe Brot mit Frischkäse und Radieschen für ein zweites Frühstück machte, sehr ungewöhnlich, aber ich hätte sonst vermutlich nicht durchgehalten, zumal ich ab zwölf noch ein Meeting hatte.

Meeting um zwölf: Einer unserer Kund:innen ist eine skandinavische Hochschule, für die wir, Zoom sei Dank, schon seit einiger Zeit Kurse anbieten, und für dieses Wintersemester, genauer gesagt ab September (die Semester sind dort etwas anders organisiert als in Deutschland), werde ich einen Kurs übernehmen. Ab zwölf zoomte ich also mit einer der Dozentinnen und ließ mir detailliert die Online-Lernplattform erklären (leider nicht Ilias, sondern eine andere, etwas unübersichtlichere, und ebenfalls leider ist diese Hochschule fest in Microsoft-Hand, was die Software angeht), außerdem Kurskonzeption, Kursinhalte und so weiter. Vieles davon war mir sehr vertraut (ähnlich strukturiert wie die Kurse an der Tübinger Uni, die ich lang unterrichtet habe), für mich ungewohnt war die sprachlich homogene Studierendengruppe (das hatte ich das letzte Mal vor sechzehn Jahren gehabt, als ich, noch zu Beginn meiner Unterrichtszeit, Studierende der Portland State University unterrichtete). Ich wurde eine Stunde lang detailliert eingeführt, schaute mir das Material an, wir gingen die Semesterstruktur durch und am Ende war ich zwar einerseits gut informiert, aber mir rauchte schon auch ziemlich der Kopf. Ich machte noch ein paar Notizen und ging dann um kurz vor halb zwei in die dringend benötigte Pause.

Ich möchte mit Ihnen über Tauben sprechen.

Pause: Gebratener Reis zweite Portion (immer noch etwas sauer), dazu ein bisschen Tee und Zeitungsrätsel. Während ich am Esstisch saß, bemerkte ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel, schaute hoch und stellte fest, dass wir Besuch auf dem Balkon bekommen hatten: Ein Falke saß auf dem Geländer und schaute mich seelenruhig an. Ich konnte mit dem Handy ein paar Fotos machen und ihn sogar dabei filmen, wie er das zweite Bein aus dem Gefieder holte (ich hatte mich über sein einbeiniges Stehen schon gewundert), sich hinter dem Ohr kratzte, einmal herzhaft gähnte und das Bein wieder einzog. Keine Ahnung, ob er müde oder krank oder einfach nur tiefenentspannt war, vielleicht sind Falken einfach so drauf, solang keine Tauben oder andere Vögel in der Nähe sind. Die Türkentauben und Ringeltauben, die hier im Gartengelände wohnen und in den großen Bäumen brüten, ließen sich im Übrigen wohlweislich nicht blicken, auch die Singvögel hatten sich zurückgezogen, aus dem Holunderbusch wurde ordentlich geschimpft.

Die aufgemalten Blumen sorgen dafür, dass der Vogel vor dem Fenster stoppte statt an der Scheibe.

Ich schaute mir den ungewöhnlichen Besuch ausführlich an und ging um kurz vor zwei schließlich wieder an den Schreibtisch. Das ist das dritte Mal, dass wir einen Greifvogel bei uns im Garten sehen, aber auf dem Balkon hatten wir bis jetzt noch keinen. (Im Übrigen sind wir nicht sicher, es könnte auch ein… Habicht? gewesen sein.)

Die Nachmittagsarbeit bestand dann in erster Linie, neben viel Kolleg:innen-Gechatte, aus Unterrichtsvorbereitung für den neuen Kurs, daneben organisatorischem Kram und ein paar kurzen Meetings. Ich war ganz zufrieden mit Allem, sich in etwas Neues einzuarbeiten gibt einfach einen zusätzlichen Motivationsschub. Um halb fünf schloss ich die Arbeit ab, zumindest für den Tag, gab dem meckernden Kater sein Futter (änderte am Meckern wenig), packte meine Yogasachen und ging zum Kurs.
Guter Kurs mit wieder einigen Drehpositionen und einigen Rückwärtsstreckungen für die Brustwirbelsäule (Held Eins, nach oben schauender Hund, natürlich das Kuhgesicht, neu im Programm: das Kamel, beziehungsweise ein paar Vorstufen davon, das komplette Kamel werde ich so schnell nicht hinbekommen). Der Arm meckerte ordentlich (klar: Kuhgesicht, Kamel, alles schulterbelastende Positionen), ich redete ihm gut zu und bekam das das Meiste ganz okay hin. Hihi.

Um halb acht war ich daheim und holte den Liebsten aus seinem Arbeitszimmer ab, wo er sich gerade in die Tiefen der Dampfkochtopf-Technologie einlas. Am Ende bestellte er einfach einen neuen (unser alter Topf baut keinen richtigen Druck mehr auf, weil das Gewinde im Ventil kaputt ist, was man theoretisch ersetzen könnte – vermutlich – nur ist der Topf schon so alt, dass es keine richtigen Ersatzteile mehr gibt, und außerdem könnte es sein, dass auch der Griff mürbe ist und eine Schraube nicht  mehr zuschraubt und überhaupt ist das Ding jetzt einfach durch).
Dann ein bisschen Bukahara-Playlist, ein Feierabendbier für uns beide und gemeinsames Kochen: Tofu, Chili, Ingwer, Paprika, Karotten im Wok, dazu ein paar Reisnudeln, mit Sojasoße, Maisstärke und Erdnussbutter cremig gerührt, ein paar Sprossen drüber, fertig. Char Kuey Teow nannte sich das Rezept, von uns allerdings recht großzügig abgeändert (Erdnussbutter gehört eigentlich nicht rein, beispielsweise, war aber lecker).

Dann das Dilemma beim Essen: Irgendwie zu wenig für zwei Tage und zu viel für nur ein Abendessen – wir teilten alles auf zwei Teller auf und aßen tapfer, nach zwei Dritteln streckte ich die Waffen, worauf der Liebste (der vom Büro aus anderthalb Stunden Rad gefahren war, über diverse Hügel, und dementsprechend hungrig war) meinen Teller heranzog und meine Portion auch noch aufaß. Danach war ihm leicht schlecht.
Auf jeden Fall dann Sofa, eine Runde nach Atlantis, eine Runde zu den Yorkshire Paramedics, ich schenkte mir dazu ein Glas Chardonnay ein, und um Viertel vor zehn taten Wein und Bewegung und überhaupt Wochenabschluss ihre Wirkung, wir wurden beide schrecklich müde und brachten den Tag zu einem frühen Abschluss.