Jimmy Carr und die Steuern

Kränklich, herumliegend, wenig Berichtenswertes passiert, da nutze ich die Zeit doch einmal, um über die Jimmy Carr-Diskussion zwischen dem Liebsten und mir zu schreiben.
Wer ihn nicht kennt, Jimmy Carr ist ein englischer Comedian, Schauspieler und Spielshow-Host, in UK ziemlich bekannt, hier eher nicht so, würde ich sagen (ich kannte ihn zumindest nicht, und ich schaue mir eigentlich sehr viel englische Comedy an). Neben seiner Bekanntheit aufgrund seiner Stand Up-Comedy und seiner Fernsehshows kam er auch durch diverse Skandale in die Presse, vor allem 2012 wegen eines Steuerskandals.

Soweit ich das verstanden habe, war Folgendes passiert: Als Carr in den 90er Jahren mit Comedy anfing, gründete er eine Firma, bei der er sich selbst anstellte. Das machte Sinn aus diversen Gründen (sozialversicherungstechnisch und was weiß ich) und ist nichts Ungewöhnliches. Einige Jahre später sprach ihn sein Finanzberater dann an: Ob er einverstanden sei, das Firmenmodell zu ändern? Er könne dadurch Steuern sparen, es sei völlig legal. Klar, sagte Carr, mach mal. Das Modell nannte sich „K2-scheme“ und Carr (bzw. sein Finanzberater) war bei weitem nicht der Einzige, der es nutzte.
Es funktioniert so: Eine Firma (nicht Carrs, sondern ein Buchhaltungsunternehmen, das dann eine Servicegebühr für seine Dienste nahm) gründete eine Tochterfirma in irgendeinem Land, das sehr niedrige Unternehmenssteuern ansetzte (ich glaube, in diesem Fall auf der Insel Jersey). Carr wurde von seiner eigenen Firma „gekündigt“ und von der Buchhaltungsunternehmen-Tochter wieder angestellt, zu einem deutlich niedrigeren Lohn (der dementsprechend niedriger besteuert war). Die Differenz zum bisherigen Lohn wurde in Form von steuerlich absetzbaren „Darlehen“ ausgezahlt. Ein legales Steuersparmodell mit Hilfe einer Briefkastenfirma also.

Die ganze Geschichte kam aufgrund einer Recherche der britischen Times heraus, die britische Finanzbehörde startete daraufhin eine Untersuchung, ohne Ergebnis, denn wie gesagt: alles legal. Moralisch aber halt definitiv angreifbar. Und darüber diskutierten wir dann ein bisschen: Wie sehr kann man davon ausgehen, dass Carr sich darüber im Klaren war, dass er hier gerade den Staat um Steuereinnahmen beschiss (wie gesagt, Idee des Finanzberaters und so, andererseits darf man vielleicht auch nicht von zu viel Naivität ausgehen)? Wie sehr kann man Carr einen Vorwurf machen, der schlicht und einfach ein Steuerschlupfloch nutzte – wäre der Vorwurf nicht viel eher an die Adresse der britischen Regierung zu richten, die diese Steuerschlupflöcher seit Jahren zulässt? (David Cameron, damals britischer Premier, entblödete sich allen Ernstes nicht, vor die Kameras zu treten und Carr in einem Statement persönlich anzugreifen – das als Vertreter einer Partei, die seit Jahrzehnten daran arbeitet, ihren Mitgliedern und Großspendern jede Menge steuerlicher Gefälligkeiten zukommen zu lassen.)

Ich bin da etwas zwiegespalten. Generell sehe ich es so, dass der Vorwurf wirklich mehr der Regierung als dem Individuum zu machen ist. Carr hat einfach nur eine Möglichkeit genutzt, die ihm durch die steuerlichen Regelungen zur Verfügung gestellt wurde (und ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass er sich zu dieser Zeit keiner Schuld bewusst war). Wenn man das nicht möchte, dann müsste man diese Regelungen schlicht und einfach durch die entsprechende Gesetzesänderung schließen. Kann man Carr einen Strick daraus drehen, dass er einfach nur ein zu dieser Zeit legales Konstrukt zu seinem Vorteil einsetzte? (Die britische Regierung hat tatsächlich 2013 die Gesetzgebung geändert, sodass ein K2-Schema heutzutage nicht mehr in dieser Form möglich wäre – was meinen Punkt irgendwie unterstreicht, finde ich.)

Andererseits ist es natürlich ätzend, wenn Leute mit viel Kohle den Staat (und damit das Gemeinwesen) um Einnahmen bringen und sich damit ihrer sozialen Verantwortung entziehen. Wenn Leute, die in einem Land aufgewachsen sind und erfolgreich wurden, die also vom Bildungssystem, von der Infrastruktur, vom Gesundheitswesen, von der Sozialgemeinschaft dieses Landes profitiert haben, dann nicht bereit sind, an dieses Land zurückzuzahlen, sondern sich mit ihrem Geld nach Monaco oder auf die Cayman Islands oder die Kanalinseln oder wohin auch immer zurückziehen, dann ist das zutiefst egoistisch. Diese Menschen (looking at you, Schumacher-Brüder, Franz Beckenbauer, Boris Becker und viele weitere) behaupten ja gern (und nehmen das vermutlich auch selbst so wahr), dass sie sich „alles selbst erarbeitet hätten“, und vergessen dabei komplett, dass ihnen das nur möglich war aufgrund der äußeren Bedingungen, die sie nutzen konnten. Das macht diese Menschen einfach zu Sozialschmarotzern. (Ein ähnliches, nur weniger schlimmes Phänomen sind für mich Leute, die sich dem gesetzlichen Krankenversicherungssystem entziehen.)

Carr sah das übrigens ähnlich (oder zumindest wurde ihm von seinen PR-Leuten dazu geraten, haha), er entschuldigte sich öffentlich für sein Verhalten, sprach von einem „terrible error of judgement“, und zumindest laut einiger Zeitungsberichte zahlte er die entsprechende Steuerlast auch wieder zurück. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob damit nicht eher gemeint war, dass er einen „moralischen“ Preis für die ganze Geschichte zahlte. Zumindest in Deutschland denke ich, dass es gar nicht möglich wäre, wirklich Geld „zurückzuzahlen“, das man ja offiziell gar nicht schuldet. Man kann ja schließlich keine „Spenden“ ans Finanzamt machen. (Immerhin zahlt seit der Zeit seine Firma aber komplett alle Steuern, wie danach noch mehrfach untersucht und offengelegt wurde.)

Nun ja. Jimmy Carr mag ein anständiger Kerl sein, der schlecht beraten wurde, aber niemandem etwas Böses wollte (quasi die komplette britische Comedy-Welt sprang ihm damals zur Seite und bürgte für seinen anständigen Charakter), oder er kann ein ziemlich geldgieriger Egoist sein, der halt ertappt wurde, das ist von außen schwer zu sagen. Ich würde ja grundsätzlich sagen, im Zweifel für den Angeklagten, und außerdem wiegt für mich eine andere Sache deutlich schwerer: Und zwar, warum eine Steuergesetzgebung solche Geschichten überhaupt erlaubt. Denn die ganze Sache mit Briefkastenfirmen und zweifelhaften Wohnsitzen in Steueroasen und so ist ja nun wirklich etwas, was ständig passiert. Natürlich ist es an jedem einzelnen, sich einer moralischen Verpflichtung bewusst zu sein, aber es sollte halt auch so sein, dass ich mich darauf verlassen kann, dass etwas verboten wäre, wenn es moralisch inakzeptabel ist. Es ist ein bisschen so ähnlich wie mit Jeans: Es kotzt mich an, dass ich als Kundin die Wahl habe zwischen „billige Jeans, in Bangladesh unter Kinderarbeit hergestellt“ oder „Öko-Jeans, dreimal so teuer und Fair Trade“. Ich sollte diese Entscheidung als Kundin gar nicht treffen dürfen, sondern es wäre Aufgabe der Politik, diese Art von Geschäftsgebaren generell zu verhindern. Frommer Wunsch, ich weiß.

Übrigens, Jimmy Carr. Meine Position ist ja grundsätzlich benefit of the doubt und so, vor allem weil er sich entschuldigt hat und brav zahlt – und ich es grundsätzlich ja auch merkwürdig finde, dass Leute einen Künstler, der mit seiner Kunst ein paar Millionen gemacht hat, in der Luft zerreißen, und „normale“ Wirtschaftsunternehmen mit ihren diversen Briefkasten-Modellen seltenst dieser Art von Kritik ausgesetzt sind. Irgendwie scheinen sich manche Menschen mit dem Gedanken unwohl zu fühlen, dass jemand „nur mit solchen Witzchen“ gut Geld verdienen kann. (Carr produziert quasi rund um die Uhr Fernsehshows und ist dazu noch an ca. 200 Tagen im Jahr mit seinem Comedyprogramm auf Tour, das Geld ist also hart verdient, würde ich sagen.)

Andererseits kann man charakterlich über ihn natürlich denken, was man will, vor allem wenn man weiß, dass es noch so einige andere Aufreger gab wegen diverser „Witze“, über die sich Leute beschwerten. Teilweise ziemlich zurecht, so wie ich das sehe, er nutzt da die alte „Was darf Satire, Cancel Culture, Mimimi“-Entschuldigung – man darf alles sagen, Humor hat kein Limit – und ich denke, man muss aber gar nicht alles sagen, man darf im Gegenzug aber alles scheiße finden und kritisieren, vor allem wenn der Witz nicht sonderlich originell ist, sondern nur die alte Leier an Sexismus, Fatshaming, Witze gegen Minderheiten und genereller Grenzüberschreitung abspielt und die Leute in erster Linie wegen „oh, der traut sich was!“ lachen, das ist dümmlich und außerdem halt langweilig. Aber das ist wohl ein Thema für einen anderen Blogbeitrag.